Bannstreiter
fühlte es sich an, als würden sie sich durch ein enges Schlupfloch in einer Hecke zwängen. Nach einem kurzen Moment der Beklemmung war der Weg endgültig frei.
Der gute Schutz des Gartens hat Hadik unvorsichtig gemacht! Es war nicht Venea alleine, die das dachte. Der Gedanke durchfuhr sie alle drei gemeinsam.
Trotzdem wurde es jetzt erst richtig schwierig. Der einzige Weg in Hadiks Zeremonienstube führte durch die offenen Turmfenster. Doch selbst mit dem Sud der Schattenmutter versehen wäre es zu gefährlich gewesen, am Efeuspalier hinaufzuklettern. Der tückische Saft, den die Pflanzen absonderten, glitzerte auch hier auf den Blättern. Eine einzige Ranke zu schütteln hätte sicherlich schon gereicht, um einige Dutzend dieser matt schimmernden Perlen in die Tiefe regnen zu lassen.
»Leicht wie eine Feder«, intonierte Bree leise, ohne einen entsprechenden Wink abzuwarten. Schon bei der ersten Wiederholung fiel Tabeth mit ein.
Gleichzeitig knieten die beiden Schattenschwestern nieder und fassten einander so an den Händen, dass ihre Arme die Beine der dritten Hexe umrahmten. Venea selbst sprach kein Wort, sondern legte ihren Mantel ab, der ihr bei der folgenden Unternehmung nur hinderlich gewesen wäre. Danach dachte sie an ein klares Gewässer, bei dem sie bis auf den Grund hinabblicken konnte. Gleichzeitig strich sie mit ihren Fingern über die Jadeaugen ihrer Schlangenarmbänder.
Unter ihren Fußsohlen begann es zu prickeln.
Rasch kreuzte sie ihre Arme vor der Brust, um ihre Haltung zu stabilisieren. Noch bevor ihre Hände die Schulterblätter berührten, begann ihr Körper zu verblassen. Angesichts des fahlen Mondlichts fiel die Veränderung zunächst kaum auf, doch sobald die ersten Ranken durch ihren Finger hindurchschimmerten, wusste sie, dass der Tarnzauber erneut gelang. Schon einen Herzschlag später waren bloß noch die Konturen ihrer Gliedmaßen zu sehen, und als auch diese schwanden, war von Venea nicht mehr das Geringste zu erkennen.
Gleichzeitig spürte sie, wie sie in die Höhe wuchs.
»Leicht wie eine Feder, dem Himmel entgegen!«, murmelten Bree und Tabeth unter ihr. Nur ein einziges Mal, doch das reichte, um die Richtung zu bestimmen.
Getragen von dem Willen der Hexenschwestern stieg Venea senkrecht empor. Ranke um Ranke rauschte der Efeu an ihr vorüber. Das Kribbeln in ihren Füßen erstreckte sich längst bis in die Beine, trotzdem hatte sie nicht den Eindruck, dass irgendwelche Kräfte an ihr zerrten. Vielmehr fühlte es sich an, als stünde sie auf einem massiven Untergrund, der sie sicher in die Höhe hob. In Wirklichkeit gähnte unter ihr ein Abgrund von dreifacher Körperlänge.
Das erleuchtete Turmfenster rückte immer näher.
Bree und Tabeth beherrschten die Kunst der Levitation wahrhaft meisterlich. Kein Wunder, dass die Schattenmutter sie für den Einbruch in Hadiks Turm ausgewählt hatte. Mit geschlossenen Augen saßen sie da und orientierten sich alleine mit der Kraft ihres Geistes. In die Höhe zu blicken, hätte sie auch nur irritiert, denn Venea war auch für sie nicht zu sehen. Der Zauber, der die Schattenschwester vor den Blicken der Stadtwachen, den schlaflosen Nachbarn und anderen zufälligen Beobachtern schützte, machte auch vor anderen Hexen nicht halt.
Selbst Venea konnte sich nicht sehen, was es oftmals schwierig machte, sich vorwärts zu tasten oder nach Dingen zu greifen.
Nur das Zittern der Efeuranken verriet, auf welcher Höhe sie sich gerade befand. Schattenmutters Abwehrtrank mochte das fleischfressende Gezücht am Zuschnappen hindern, seine Begierden dämpfte es jedoch nicht. Immer wieder streckten sich Venea einzelne Blätter entgegen. Darum war sie froh, als der grüne Wall endete und das offene Rechteck des Turmfensters vor ihr auftauchte.
Bis auf Höhe des Bauchnabels glitt sie daran vorbei, bevor sie plötzlich mitten in der Luft verharrte. Perfekt. Venea brauchte nur noch ihre Hände auszustrecken, um sich über den Fenstersims ins Innere zu ziehen. Bree und Tabeth schoben sie sogar noch etwas näher ans Mauerwerk heran, das bereits frei von jedem Bewuchs war.
Dabei sackte Venea ein kleines Stück ein, als hätte sich der feste Grund, auf dem sie stand, plötzlich in eine weiche Wolke verwandelt. Venea spürte ein schmerzhaftes Ziehen in ihren Leisten, bezähmte aber den aufkeimenden Wunsch, sich nach vorne, in die vermeintliche Sicherheit des Fensters zu stürzen. Völlig auf die Fähigkeiten der Zunftschwestern vertrauend rührte sie
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