Bannstreiter
schießen. Und mehr als das brauchten die Untiere nicht, um sich und ihre Reiter über die hohen Abgründe zu schieben.
Schnell kamen sie auf diese Weise allerdings nicht voran.
Die beiden Flüchtlinge hatten es gerade einmal geschafft, sich bis kurz vor die Außenmauer des Anwesens vorzuarbeiten. Voll grimmiger Freude sah Rorn zu dem über ihm haftenden Strang empor. Er reichte zwar bis zu dem Spitzkegel, der die Turmspitze bildete, doch wenn er sich streckte, würde es trotzdem klappen. Mit Grimmschnitter in der Linken, stellte sich der Krieger ins Fenster und klammerte sich an der Innenseite des Sturzes fest. Danach musste er sich auf den Zehenspitzen in die Höhe drücken und nach außen lehnen, um mit der Schwertspitze an den schräg über ihm entlangführenden Strang zu gelangen.
Normaler Stahl wäre schon bei der ersten Berührung haften geblieben, aber Grimmschnitters Entladungen zersetzten die Spinnfäden schneller, als die scharf geschliffene Schneide mit dem Zertrennen hinterherkam. Nur vier oder fünf Mal musste Rorn den Arm auf- und abbewegen, danach riss der Strang von alleine unter dem auf ihm lastenden Gewicht auseinander.
Ein dumpfer Laut, der dem Zurückschnellen einer Bogensehne ähnelte, erfüllte die Luft. Danach flatterte das kurze, am Haus verbliebene Stück im Wind, während das andere in die gefräßigen Baumwipfel absank.
Ein Blick über die Schulter bewies Rorn, dass er gerade noch rechtzeitig gehandelt hatte. Die beiden Spinnen und ihre Reiter stürzten innerhalb der Einfriedung herab. Dort, wo sie durch die Bäume schlugen, erhob sich ein wütender Sturm. Zuerst war es nur das Bersten von Ästen, das die Stille der Nacht zerriss. Danach war zu hören, wie sich Wipfel, Zweige und Sträucher auf die Eindringlinge warfen und für immer zum Schweigen brachten.
Zufrieden kehrte Rorn in den Zeremonienraum zurück.
Bree hatte inzwischen den Pfeil aus ihrem Oberarm entfernt und die Wunde mit einer Kräutermischung aus ihrer Hüfttasche versorgt. Rorn half ihr dabei, ein Stück Stoff zu zerreißen und um die heilende Auflage zu wickeln. Die Hexe hatte noch einmal Glück gehabt. Die Spitze hatte nur Fleisch durchdrungen und weder die Hauptschlagader noch den Knochen getroffen.
»Wo sind deine Schattenschwestern?«, wollte er von der Blonden wissen.
Bree schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass sie es nicht wusste.
»Ich habe Tabeth aus den Augen verloren«, erklärte sie, tapfer gegen die Schmerzen angehend. »Aber ich nehme an, sie sucht bereits nach Venea.«
»Was ist mit ihr?«, setzte Rorn besorgt nach. »Jetzt, wo alles vorbei ist, könnte sie sich doch wieder sichtbar machen.«
»Das ist es ja, was mir am meisten Sorgen bereitet«, antwortete Bree niedergeschlagen. »Ich fürchte, der Tarnzauber übersteigt Veneas Kräfte. Falls sie ohnmächtig geworden ist, ohne zuvor ihren Bann zu widerrufen, kann es passieren, dass ihr die Schattenjade den letzten Lebensfunken aussaugt.«
Rorn unterdrückte einen bitteren Fluch, der ihm über die Lippen schlüpfen wollte. Nicht schon wieder! , schrie er innerlich auf. Oh du elender Zehrer! Lass nicht schon wieder jemanden an meiner Seite sterben, während ich unbeschadet aus dem Kampf hervorgehe!
Zur Zeit der Zyklopen
Dicke Rauchsäulen am südlichen Horizont kündeten vom Rachefeldzug der Zyklopen. Allein der Gedanke daran, dass dort eine befestigte Siedlung der Leu brannte, machte den Aufstieg zur Turmkuppel noch schwerer, als er ohnehin schon war. Der mächtige Pfeiler, auf dem die eroberte Halle mit dem Portal ruhte, bestand tatsächlich aus massivem Granit. Nicht der kleinste Hohlraum war vorhanden, keine Wendeltreppe führte darin empor. Um auf diesen Turm zu gelangen, musste man tatsächlich von außen bis in die Wolken vorstoßen. Entweder mit Hilfe von kräftigen Flügeln, wie sie die Greifen besaßen, oder indem man die Kunst der Levitation so gut wie Perac und Hatra beherrschte.
Die scheinbare Leichtigkeit, mit der die beiden Magier, jeweils einen Trutzadler im Schlepptau, senkrecht in die Höhe stiegen, täuschte jedoch. Dem Großmeister und der Hexe liefen längst dicke Schweißperlen über die Gesichter, so sehr strengte sie ihr Tun an.
Eonis und den anderen Greifen, die ihre lebende Fracht auf dem Rücken transportierten, erging es kaum besser. Unermüdlich segelten sie in die Tiefe und stiegen mit neuer Last beladen empor.
Perac legte bereits die zweite Pause ein, angeblich, um das versiegelte Portal zu überprüfen. In
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