Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
doch, die schweren Lider zu heben, und er erblickte Royal in den Armen eines Mannes. Es war Preston, der Engländer, den Royal Bradford liebte.
Sie legte eben den Kopf an Prestons Schulter. „Ich war bestürzt, vom Tode Ihres Bruders zu hören.“
„Auch mich hat es sehr getroffen. Sie wissen, ich habe mir nie gewünscht, seinen Platz einnehmen zu müssen. Aber mit Ihnen an meiner Seite werde ich tun, was man von mir erwartet.“
„Sie werden Ihrer hohen Stellung gerecht werden, Preston. Nur ich muß mich erst langsam daran gewöhnen, daß Sie jetzt der Duke of Chiswick sind, nicht mehr nur Preston.“ Sie sah zu ihm auf und erblaßte. „Es ist so ungewohnt, Sie mit Durchlaucht anzusprechen.“
Er lächelte und küßte sie zärtlich auf die Nasenspitze. „Bald werden Sie selbst Ihre Gnaden die Duchess of Chiswick sein, Royal.“
Nun war sie erst recht bestürzt. Preston hatte so vieles durchmachen müssen. Sie sah die Hoffnung in seinem Blick und brachte den Mut nicht auf, sie gleich jetzt zu zerschlagen. Nein, erst wenn er alles überwunden hätte, den Tod des Bruders, die gräßlichen Erlebnisse der Gefangenschaft.
„Ich kann mich in dieser so veränderten Welt noch nicht ganz zurechtfinden“, sagte sie ausweichend. „Und ich weiß selbst nicht, was ich empfinde. Aber seien Sie versichert, ich bin nicht zur Duchess geschaffen.“
Er lachte leise und zog sie fester an sich. „Sie wollen sich doch nicht etwa gar von meiner Liebe abwenden, nur weil ich Ihnen nun einen alten und überaus ehrenvollen Adelstitel zu Füßen legen darf?“
„Ich wollte …“
„Was, Liebste, was?“
„Ich wollte, ihr beiden ließet einen Menschen in Frieden“, ließ sich nun eine heisere Stimme vernehmen. „Wo zum Teufel bin ich hier eigentlich?“ Damon Routhland versuchte sich aufzusetzen, fiel aber gleich wieder kraftlos in die Kissen zurück. Schon stand Royal neben ihm und griff nach seiner Hand.
„Sie sind in meinem Haus, Damon. Ich habe mir ja solche Sorgen um Sie gemacht. Aber nun wird es Ihnen bald viel besser gehen“, versicherte sie lebhaft.
Der Duke trat an ihre Seite und lachte. Er blickte auf den Liegenden nieder und stellte erheitert fest: „Nach Ihrer schlechten Laune zu schließen, Damon, sind Sie bereits auf dem Wege der Besserung.“
Damon Routhland schaute von dem Duke zu Royal und fragte sich, warum es ihn überhaupt so maßlos störte, diese beiden Menschen beisammen zu sehen.
„Ist es nicht möglich, daß ihr euer vertrauliches Beisammensein anderswohin verlegt?“ erkundigte er sich mißgestimmt und hätte nicht sagen können, was mehr weh tat – der Schmerz, den die Wunde verursachte, oder der im innersten Herzen.
Der Duke ergriff Royal bei der Hand und zog sie mit sich zur Tür. Dort wandte Royal sich noch einmal um und schaute mit dem Ausdruck tiefster Bekümmernis zu Damon Routhland zurück. „Können wir Sie allein lassen?“
Der Duke nickte. „Natürlich, Männer wie er lassen sich nicht von einer Kugel niederstrecken, schon gar nicht, wenn sie aus der Pistole eines Schurken wie Vincent Murdock kommt.“
„Wer ist dieser Mr. Murdock?“ wollte Royal wissen.
Preston zog die Tür hinter ihnen ins Schloß. „Ein Kerl, dem man besser nicht über den Weg läuft. Wenn Sie mich zum Mittagessen einladen, werde ich Ihnen alles über ihn erzählen. Aber ich warne Sie, es ist keine sehr erbauliche Geschichte.“
„Ich möchte alles erfahren.“
„Leider habe ich nur zwei Stunden Zeit, dann geht es zu General Clint. Und ich habe keine Ahnung, wie schnell wir einander wiedersehen werden.“ Er zog sie in die Arme. „Werden Sie mich vermissen, Liebste?“
Sie schaute ernst zu ihm auf. „Das müssen Sie nicht fragen. Natürlich werden Sie mir fehlen.“ Da hatte Royal Bradford nun die beiden Männer, die ihr auf der ganzen Welt die liebsten waren, unter dem eigenen Dach. In dieser Lage, dieser grenzenlosen Verwirrung war eigentlich Preston der einzige ruhende Pol, der ihr noch eine Art Sicherheit vermittelte. Die Wärme in seinem Blick tat ihr wohl.
„Einzig der Gedanke an Sie, Royal, hat mich in den vergangenen Wochen aufrecht gehalten.“
„Ich bin so dankbar, daß Sie frei und in Sicherheit sind. Ich weiß wirklich nicht, was ich getan hätte, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre, Preston.“
„Darf ich daraus schließen, daß Sie nun endlich meinen Heiratsantrag annehmen werden, Liebste?“
„Nein, das kann ich nicht. Wenigstens jetzt nicht.“
„Ich kann warten“,
Weitere Kostenlose Bücher