Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Ein Mann in der roten Jacke eines britischen Offiziers stand auf der Schwelle. Mit einem raschen Blick musterte Royal den Eintretenden. Er war grauhaarig und trug die Abzeichen des Arztes am Aufschlag des roten Rockes. Sie zitterte vor Aufregung, doch der Fremde lächelte und sah sie freundlich an. Vorsichtshalber machte sie einen Schritt auf den Briten zu, für den Fall, daß er doch Böses gegen Damon Routhland im Schilde führen sollte.
„Wer sind Sie?“ fragte sie und hob den Wasserkrug auf, bereit, ihn dem Eindringling entgegenzuschleudern. Die Stimme schwankte. Die Miene dagegen war so drohend und hochmütig, daß der Militärarzt zurücktrat und einem zweiten Mann zunickte, der bisher unbemerkt im Türrahmen gestanden hatte.
„Miss Bradford“, sagte der Doktor mit einer tiefen Verneigung und zwinkerte Royal vergnügt zu. „Vielleicht kann Ihnen Seine Gnaden besser erklären, daß wir nur gekommen sind, um zu helfen.“
Mit einem Blick auf den Offizier, der nun über die Schwelle trat, stieß Royal einen leisen Schrei aus. Der Porzellankrug zerschellte auf dem Boden, sie bemerkte es nicht.
„Preston? Das kann nicht sein, das ist ganz unmöglich.“
Der Duke streckte ihr beide Arme entgegen und schaute sie hingerissen an. „Ich bin es leibhaftig, Royal“, sagte er und wies auf die Scherben zu seinen Füßen. „Begrüßt man so den Mann, den man heiraten möchte?“
Mit Tränen in den Augen warf sie sich ihm an die Brust. „Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, Sie lebendig wiederzusehen, Preston“, sagte sie und schluchzte. „Ich dachte, man hätte Sie gefangengenommen. Ich verstehe das alles nicht. Wie haben Sie sich retten können?“
Der Duke hielt sie fest an sich gedrückt und nickte zu Damon Routhland hinunter. „Das war nicht einfach und erzählt sich nicht leicht. Ohne Ihren Vormund wäre ich jetzt wahrscheinlich schon tot, auf alle Fälle aber noch angekettet wie ein wildes Tier.“
Der Duke hielt Royal eine Weile schweigend an sich gedrückt, dann erklärte er sanft: „Es war Ihr Vormund, der mich aus den Sümpfen herausholte. Dabei wurde er an meiner Stelle angeschossen.“ Er löste sich von ihr und trat an das Bett. „Royal, ich habe Dr. Cummingwood mitgebracht, einen überaus bewährten Arzt, der bereit ist, Damon zu behandeln.“ Preston bemerkte Royals Zögern, ihre Unentschlossenheit, den Colonel einem englischen Arzt anzuvertrauen, und sagte begütigend: „Er ist nur auf meinen persönlichen Wunsch hier, Sie dürfen ihm vertrauen.“
Dankbar sah sie zu dem Duke auf, bereit, Damons Leben in die Hände des Engländers zu legen. „Es geht ihm schlecht. Wir haben alles getan, was wir konnten, aber die Wunde ist entzündet, und das Fieber will nicht fallen.“
Auf einen Blick von Dr. Cummingwood zog Preston Royal mit sich zur Tür. „Hier braucht uns jetzt keiner. Wir wollen den Doktor allein lassen, damit er Damon untersuchen kann.“
Sie folgte Preston auf den Korridor hinaus. Dort, unter Albas wachsamen Augen, lehnte sie sich wieder an seine Schulter. Sie konnte es immer noch nicht glauben, daß er lebte und in Sicherheit war.
„Ich verstehe trotzdem nicht, wie es dazu gekommen ist, daß Sie meinen Vormund kennen. Und Sie sagen, er hätte Ihnen das Leben gerettet. Das alles verstehe ich nicht.“
„Er war es, der mich in den Sümpfen aufspürte. Ein Bandit namens Murdock hatte mich dorthin verschleppt und in Ketten auf einer winzigen Insel gefangengehalten. Damon verhalf mir zur Flucht. Ihn traf die Kugel, die für mich bestimmt war, in den Schenkel.“
Eine Träne löste sich von Royals Wimpern und rollte ihr langsam über die Wange. „Ich allein bin an allem schuld. Ich hatte ihn gebeten, Sie für mich zu finden. Wie hätte ich ahnen können, daß er ganz allein sich dafür in Gefahr bringen würde? Ich hatte mir vorgestellt, er könnte, sobald man Ihren Aufenthaltsort kannte, Ihre Freilassung durch Verhandlungen erreichen.“
Der Duke blickte über ihren gesenkten Kopf hinweg zu Alba hin, die ihn nicht eben sehr wohlwollend beäugte. „Könnten Sie wohl etwas Tee für Ihre Herrin bereiten?“ fragte er. „Ich glaube, sie hat eine Stärkung nötig.“
Erst jetzt kam es Royal in den Sinn, daß Alba den Engländer ja nicht kannte, und hastig stellte sie ihn vor. „Alba, dies ist Seine Gnaden, der Duke of Chiswick, ein sehr lieber Freund.“
Alba Beemish nickte. Der Titel des Fremden verfehlte seine Wirkung nicht, und sie ging die Treppe
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