Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
mitgenommen haben.“ Er stürmte die Treppe hinunter zum Vordereingang und rief über die Schulter zurück: „Wie ich angenommen habe, die Spuren führen geradewegs zur Haustür. Eine Frechheit ist das, eine bodenlose Gemeinheit.“
Von lähmendem Entsetzen ergriffen, fiel Alba auf das Bett und bemühte sich krampfhaft, trotz der aufsteigenden Panik einen klaren Gedanken zu fassen. Wer in aller Welt hätte einem so liebenswerten Geschöpf wie der jungen Herrin Böses antun können? Auf dem Kissen zeichnete sich noch der Abdruck des Kopfes als sanfte Mulde ab.
Jetzt erst bemerkte sie ein abgerissenes Papierstück, das darunter steckte, zog es hervor und sagte: „Was ist denn das?“ Im nächsten Moment hastete sie die Treppe hinunter und rief gellend nach Tobias. „Hör dir das an“, sagte sie und las dann mit zitternder Stimme:
Damon Routhland,
inzwischen werden Sie ja bemerkt haben, daß Ihr Mündel verschwunden ist. Sie sollen wissen, daß ich Royal Bradford in meiner Gewalt habe. Ich überlasse es Ihnen, sich all die Schrecken auszumalen, die sie von nun an zu ertragen hat. Damit lasse ich das Mädchen bezahlen für das, was Sie mir angetan haben. Werden Sie in der Nacht noch schlafen können, wenn sie Sie anfleht, ihr zu helfen, ohne daß ihr einer zu Hilfe kommt? Versuchen Sie nur, sie zu finden* wenn Sie den Mut dazu haben. Vincent Murdock
Alba schrie auf. „Gerechter Himmel, wer ist dieser Wahnsinnige? Und warum hat er ausgerechnet Miss Royal entführt?“ Fassungslos sah Tobias Beemish seine Frau an. „Hast du schon vergessen, wer das ist? Murdock ist der Bandit, der Mr. Routhland angeschossen hat, als der den Duke aus den Klauen der Marodeure holte.“
„Aber was können wir bloß tun?“ fragte Alba und ging rastlos in der Halle auf und ab. „An wen können wir uns wenden, damit etwas geschieht, um Miss Royal zurückzuholen?“
Tobias grübelte und schüttelte den Kopf. „Wir wissen nicht einmal, wo Mr. Routhland ist, und auch nicht, wo wir den Duke finden können. Ringsumher sind nichts als Feinde. Und man wagt ja keinem mehr zu trauen, auch nicht den eigenen Leuten. Ach, Alba, ich sehe keinen Ausweg“, schloß er niedergeschlagen.
„Warte!“ Alba blieb stehen und umklammerte den Arm ihres Mannes. „Reite hinaus zu Ezekiel Elman. Gut, ich weiß, er ist ein alter Herr, aber er könnte uns helfen. Ich glaube, er würde alles für Miss Royal tun. Er betet sie geradezu an. Er wird etwas herausfinden, was uns weiterbringt. Spute dich, Tobias. Reite zu Ezekiel Elman!“
„Gut“, rief der Alte, erleichtert, daß er etwas dazu beitragen konnte, die geliebte junge Herrin wiederzufinden. „Ich bin schon unterwegs.“
Royal erwachte mit einem unbestimmten Gefühl des Grauens und tastete nach dem schmerzenden Kopf. Er wies eine Beule auf. Nun wußte sie es wieder. Einer der beiden Männer, die sie entführten, hatte sie niedergeschlagen, und dabei hatte sie wohl das Bewußtsein verloren. Nun hatte sie nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befinden mochte, und fand sich überhaupt nicht zurecht. Wo war sie? Wohin hatte man sie verschleppt? Es dauerte eine ganze Weile, bis Royal begriff, daß sie auf einem schmalen Bett lag und ihre Hände gefesselt waren. Sie versuchte sich aufzusetzen. Vergeblich. Man hatte ihr auch die Füße zusammengebunden.
Royal stöhnte leise auf, so sehr dröhnte und schmerzte ihr der Kopf. Trotzdem sah sie sich forschend in der Umgebung um. Es war ein kleiner Raum, roh zusammengezimmert. Zwischen den unverputzten Holzstämmen schimmerte das Tageslicht herein. Eine Blockhütte war es mit einem schmutzigen, gestampften Erdboden. Große Palmblätter dienten als Dach und würden bei Regen kaum Schutz bieten. Es gab kein Fenster und keinen Riegel an der Brettertür. Royal nahm an, daß man von draußen abgeschlossen hatte. Nach den Geräuschen zu urteilen, die hereindrangen, befand sie sich irgendwo in den Sümpfen.
Noch überwog die Betroffenheit die Angst. Wer nur waren jene Männer, die sie bei Nacht und Nebel aus ihrem Haus in Savannah entführt hatten? Und was mochten diese Kerle mit ihr vorhaben?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und eine Frau kam in den Raum. Sie war schwarzhaarig, hatte dunkle Augen, war barfuß, ungekämmt und recht verwahrlost. Man hätte das Gesicht als hübsch bezeichnen können, wenn nicht die Mundwinkel von einem häßlichen Zug nach unten gebogen gewesen wären. Mit einem
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