Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
feindseligen Blick, halb unzufrieden, halb schmollend, schaute sie die Gefangene an.
„Oh, ist die Prinzessin endlich einmal munter?“ sagte sie hämisch. „Welch eine Gnade des Himmels für uns alle. Können wir Euer Hochwohlgeboren irgendwie zu Diensten sein?“
Royal Bradford verdrängte die Tatsache, daß man sie hier an diesem schmutzstarrenden Ort gegen ihren Willen festhielt, und war fest entschlossen, diesem hergelaufenen Weib nicht den Gefallen zu tun zu zeigen, wie sehr sie im Innersten zitterte. Halb aufgerichtet, warf sie stolz den Kopf in den Nacken, gab den Blick der Fremden geringschätzig zurück.
„Wer trägt die Verantwortung für das, was geschehen ist?“ fragte sie.
„Huh, sind wir aber vornehm!“
„Wer sind Sie?“
„Marie Grimmet, doch das geht dich nichts an.“ Sie ließ den Blick über Royals gesticktes Nachthemd schweifen und beugte sich nieder, um es besser zu sehen. Mit den schmutzigen Fingern betastete sie das feine Gewebe, den Ärmelsaum mit den Rosenornamenten. „Ist aber mächtig teuer für ein bloßes Nachthemd. Ich hab noch nie so ein Kleid gehabt.“
Royal zuckte vor der Berührung unwillkürlich zurück. „Lassen Sie mich laufen, und Sie können es haben.“
Ein heimtückisches Lachen kam über die Lippen der Frau. „Das kriege ich sowieso, du dumme Trine. Bald wirst du es nicht mehr brauchen.“
Trotz des Wunsches, sich keine Angst anmerken zu lassen, durchlief Royal ein Schauder.
„Wie … wie meinen Sie das?“
Marie Grimmet bohrte den knochigen Finger in Royals Brust. „Hast keine Ahnung?“ sagte sie lauernd. „Wen Vincent Murdock mal in’n Händen hat, der bleibt sein Gefangener und kommt nie mehr frei.“
Royal zwang sich, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Mit dem Anschein von Furchtlosigkeit sagte sie: „Jetzt erinnere ich mich an den Namen. Aber Sie irren sich. Ich kenne einen, der Ihrem Mr. Murdock doch entwischt ist.“
Wieder lachte das Weib hämisch. „Der Engländer zählt doch nicht, du Närrin“, höhnte sie. „Mein Murdock hat dich hergeschleppt, um deinen hochwohlgeborenen Mr. Damon Routhland hierherzulocken. Hast wohl nicht gewußt, daß der noble Herr daran schuld ist, daß Murdock den Arm nicht mehr brauchen kann, oder? Dafür lassen wir den feinen Herrn büßen.“ Wieder warf sie der Gefangenen einen gehässigen Blick zu. „Aber er soll nicht allein zappeln. Du bist so ein hübsches Ding. Wetten, daß du bald um den Tod betteln wirst, wenn man dich ein bißchen hart anpackt. T*ja, der Meinige hat recht nette Pläne, was euch zwei angeht.“
Royal senkte die Lider, um ihre Angst nicht zu zeigen. „Damon Routhland wird Ihren Murdock dafür töten. Wenn Ihnen sein Leben also etwas wert ist, lassen Sie mich schnellstens von hier entkommen.“
Die Frau griff jäh in das goldblonde Haar und riß Royals Kopf hoch, so daß sie ihr ins Gesicht sehen mußte. „Mein Leben lang habe ich vor solchen Dämchen kriechen müssen, wie du eines bist. Das kommt nicht mehr in Frage, nicht, seit mein Murdock mich zu sich geholt hat. Jetzt, feine Lady, wirst du vor mir auf die Knie gehen, das schwör ich dir.“
„Niemals.“
„O doch, das wirst du, nur keine Bange. Mein Murdock kann ganz böse werden, wenn er mißmutig ist. Und das wird er sein, wenn er dich anschaut.“ Sie ließ Royal los und streifte die schmutzige Bluse von der Schulter. „Da, siehst du die Narbe? Das hat Murdock getan. Eifersucht, nichts als Eifersucht. Ich habe Peitschenstriemen auf dem ganzen Rücken.“ Etwas wie Stolz glomm in den dunklen Augen. „Wenn der Meinige so schon mit wem umspringt, den er mag, was wird er dann erst mit dir machen?“
Royal kämpfte gegen Übelkeit an. „Ich habe Ihrem Mr. Murdock nichts getan.“
„Du nicht, aber dein Kerl.“
„Mr. Routhland ist nicht mein Mann, er ist mein Vormund.“
„Da hab ich aber ganz was anderes gehört. Scheint ja, als hätten er und der Engländer was mit dir. Na ja, manche Männer haben was übrig für so dürre Weiber wie dich. Mein Murdock hat da lieber was Handfestes.“
Royal wandte sich von der gräßlichen Marie Grimmet ab. Der Kopf schmerzte ihr, besonders an der Stelle, an der man sie in der vergangenen Nacht niedergeschlagen hatte. Und die Kehle war trocken, wie ausgedörrt. Aber lieber wäre Royal gestorben, als sich vor dieser Frau zu erniedrigen und diese Frau um einen Schluck Wasser zu bitten.
„Lassen Sie mich allein“, befahl Royal betont hochmütig und drehte das Gesicht
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