Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
fühlte.
Hannah unterbrach Royal in ihrem Brüten. „Vergessen Sie nicht, daß es Zeit wird hinunterzugehen? Mrs. Fortescue hat schon nach Ihnen gefragt, Miss Royal. Die anderen jungen Damen sind bereits versammelt.“
Schweren Herzens setzte sie den Hut auf und band ihn unter dem Kinn fest. Sie fühlte sich häßlich und farblos in dem schwarzen Reitkleid. Die Mitschülerinnen dagegen würden alle Schattierungen von Rosa, Gelb und brennendem Rot tragen.
Wie eine Marionette ging Royal zur Tür. Seit Wochen war von nichts anderem mehr die Rede gewesen als von diesem Tag, den man mit Reiten und einem Picknick verbringen würde, draußen in der freien Natur. Und davor bangte es Royal. Die Mädchen wurden eben von der Vorsteherin auf die sieben Kutschen verteilt, die vor der Schule aufgefahren waren. Royal hielt sich etwas abseits wie immer. Ihr war erbärmlich zumute, und sie überlegte gerade, ob sie nicht etwa eine Unpäßlichkeit vortäuschen und sich damit entschuldigen sollte.
„Kommen Sie, Royal“, rief da Mrs. Fortescue und wies auf den zweiten Wagen in der Reihe. „Hier hinein. Das ist der richtige Platz für Sie.“
Royal traute ihren Augen nicht. In dieser Kalesche saß Lady Alissa Seaton.
Zu Royals Kummer streifte sie beim Einsteigen zufällig die Stola, die auf Lady Alissas Knien lag, und die Seide glitt zu Boden.
„Oh, es tut mir leid, wie ungeschickt von mir.“
In dem Gesicht der jungen Lady zeichnete sich Mißbilligung ab. „Es ist mir oft genug schon aufgefallen, daß Anmut nicht gerade Ihre Stärke ist“, sagte Lady Alissa gereizt. Die beiden anderen Mädchen kicherten boshaft. Wortlos bückte sich Royal und hob die Stola auf.
Alissa Seaton riß sie ihr aus der Hand. „Sie sind ganz und gar unmöglich. Ihre Lehrerinnen können mir leid tun.“
Nur mit Mühe beherrschte sich Royal und schluckte den Ärger, der in ihr aufstieg. Was hatte sie auch zu gewinnen, wenn sie sich auf eine Auseinandersetzung mit Lady Alissa einließ? Der Vater hatte ihr manchmal geraten, jedem Streit möglichst von vornherein aus dem Weg zu gehen. Heute nun wollte Royal die Probe aufs Exempel machen und Lady Alissa samt ihrem Hofstaat einfach nicht beachten. Dafür wandte sie alle Aufmerksamkeit dem Horizont im Osten zu. Dort hatte sich eben die Sonne hinter einer Wolke hervorgeschoben. Der Tag war mild. An dem blauen Himmel zogen nur vereinzelte Wolken dahin.
Die Pferde und die Wagen setzten sich in Bewegung. Royal lehnte sich zurück und blickte auf die Hände nieder, die sie auf dem Schoß verschränkt hatte. Sie fröstelte. Das würden zwei endlos lange Stunden werden.
Während das eintönige Klappern der Hufe auf dem unebenen Pflaster stetigen Trab verriet, versuchte Royal, die Bemerkungen zu überhören, die ganz gewiß darauf zielen sollten, sie zu kränken. Deborah Stoughton, wie immer Lady Alissas getreuer Schatten, trieb es besonders arg. Doch ihre laute, etwas grelle Stimme ließ sich einfach nicht überhören.
„Wenn doch Kathleen jetzt bei uns sein könnte.“ Deborah warf Royal einen Seitenblick zu und fragte dann gehässig: „Vermissen Sie denn unsere liebe Kathleen gar nicht?“
„Ich hatte einmal eine Grippe“, erwiderte Royal und schaute geradeaus. „Als sie vorüber war, habe ich sie keineswegs vermißt. Mit Ihrer Freundin Kathleen geht es mir ebenso.“
Deborah wollte etwas sagen, aber Lady Alissa ließ es nicht dazu kommen, sondern legte der Spötterin die Hand auf den Arm. „Lassen Sie, Deborah, kommt Zeit, kommt Rat. Man muß nur abwarten. Dann erledigen sich manche Dinge ganz von selbst.“
Royal konnte sich nicht enthalten, zu Lady Alissa hinüberzuspähen. Sekundenlag trafen sich ihre Blicke, dann senkte Royal die Lider. Wahrscheinlich heckten die drei gerade in Gedanken eine neue Bosheit aus, um sie zu verletzen. Sollten sie tun, was sie nicht lassen konnten. Sie würde ihnen nicht die Freude machen, ihnen zu zeigen, wie weh ihr das alles tat.
„Ich fühle mich von allem abgestoßen, was aus den Kolonien kommt“, begann Deborah Stoughton leichthin. „Alles, was sie hervorbringen, ist minderwertig. Jede Ware, jeder Stoff, selbst die handwerkliche Ausfertigung ist viel schlechter als bei uns. Das sind doch richtige Hinterwäldler, die nichts anderes, zustandebringen, als Unruhe zu stiften, Aufruhr zu entfesseln und dauernd von Krieg zu reden. Welch bodenloser Undank, wenn man bedenkt, was sie uns Briten alles schulden. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre“,
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