Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Schande in die Kolonien zurückschicken?“
Tränen brannten Royal in den Augen und rannen über die blassen Wangen. „Nein, alles, nur das nicht, Madame. Mag ich hier auch noch so unglücklich sein, nicht das. Glauben Sie mir doch, ich bin unschuldig.“
„Ich werde nichts unternehmen, solange ich nicht ganz sicher bin. Aber ich muß darauf bestehen, daß Sie Ihr Zimmer nicht verlassen, bevor nicht jeder Zweifel ausgeräumt ist. Das ist mir alles ein wenig zu offensichtlich. Doch das tut nichts zur Sache.“ Sie stand auf und sah Royal mit einem seltsamen Lächeln an. „Gehen Sie jetzt, und reden Sie mit niemandem.“ Das hätte sie nicht zu sagen brauchen. Royal fühlte sich wie ein verwundetes Tier und wollte nichts, als sich in ihrem Zimmer zu verkriechen und keinen Menschen zu sehen, mit keinem zu sprechen, wollte sich bloß verbergen und zur Ruhe kommen. Es gab auch niemanden, zu dem sie in dieser dunkelsten Stunde ihres Lebens hätte flüchten können, niemanden, der ihr glaubte, daß sie keine Diebin war.
*
Zwei Tage verstrichen, in denen Royal reglos auf ihrem Bett lag und keinen zu Gesicht bekam außer der Zofe Hannah, die das Essen brachte. Royal weigerte sich, etwas zu sich zu nehmen. Die Tränen waren versiegt, der Zorn war verraucht. Auf einmal hörte sie Schritte vor der Tür.
Die Zofe stürzte ins Zimmer. „Sie werden es nicht glauben, Miss Royal. Alle Mädchen sind wie vor den Kopf gestoßen, weil Miss Kathleen Griffin die Schule mit Sack und Pack verlassen hat. Auch soll sie gräßliche Dinge zu Mrs. Fortescue gesagt haben.“
„Das alles geht mich nichts an“, erwiderte Royal und drehte sich zur Wand.
Hannah widersprach mit glühenden Wangen. „Nein, Miss Royal, so ist es nicht. Ich bin ja so glücklich, daß es nicht meine Herrin ist, die man weggeschickt hat, sondern die junge Dame, die meine Herrin beschuldigt hat.“
Bevor Royal auch nur einen klaren Gedanken hätte fassen können, klopfte es an der Tür, und Hannah ließ Mrs. Hargrove eintreten. Sie lächelte wie entschuldigend.
„Mrs. Fortescue bittet Sie, mich zu ihr zu begleiten, Royal.“
Mit einem Blick, in dem Hoffnung aufleuchtete, folgte sie Mrs. Hargrove. Hatte sie auch zuerst in verletztem Stolz gemeint, die Schmach, die man ihr angetan hatte, niemals vergeben zu können, so war sie, als sie das Arbeitszimmer der Vorsteherin betrat, bereit, alles zu verzeihen und zu vergessen.
Mrs. Fortescue nickte ihrer Schülerin zu. „Ihre Unschuld ist klar bewiesen. Ich möchte hoffen, daß es damit auch getan ist. Die wirklich Schuldige ist ihrer Strafe nicht entgangen. Seien Sie froh, daß nicht Sie es waren.“
Royal konnte das Gehörte kaum fassen. Zwei schmerzlich lange Tage hatte sie in qualvoller Einsamkeit verbracht, hatte die unverdiente Verachtung der anderen körperlich zu spüren geglaubt. Vor allem aber hatte sie unter dem Gedanken gelitten, was wohl der Herr von Swanhouse Plantation denken würde, wenn er von dem Vorfall erfuhr. Sein Mündel war beschuldigt worden, eine Diebin zu sein. Und nun tat Mrs. Fortescue alles ab, als handelte es sich um eine Lappalie.
„Und Sie haben Mr. Routhland, meinem Vormund, nicht mitgeteilt, daß man mich des Diebstahls verdächtigt hat?“
Mrs. Fortescue erhob sich, kam um den Schreibtisch herum zu Royal und schaute sie eine Weile schweigend an.
„Nein. Und nun versuchen Sie zu vergessen, was man Ihnen angetan hat. Ich möchte gern auch weiterhin gute Berichte über Ihre Studienerfolge nach Savannah schicken können wie bisher.“ Sie zog ein Schreiben hervor, das an Royal gerichtet war, und reichte es ihr. „Dieser Brief ist gestern mit der Post gekommen, Miss Bradford, und ich bin fast sicher, daß er Ihnen helfen wird, über die erlittene Kränkung schnell hinwegzufinden. Nun lesen Sie doch schon!“
Der Brief war in Savannah aufgegeben worden, und Royal ließ sich nicht zweimal auffordern. Sie erbrach das Siegel und konnte nicht glauben, was da geschrieben stand.
Liebe Miss Bradford,
im Auftrage von Mr. Routhland möchte ich Ihnen mitteilen, daß er für Sie eine junge Stute nach England hat schiffen und auf die Fulham School bringen lassen. Sie heißt Enchantress und wurde auf Swanhouse Plantation geboren und aufgezogen.
Da Sie so weit weg von der Heimat sind, hofft Mr. Routhland, Enchantress könnte Ihnen über die Einsamkeit hinweghelfen. Betrachten Sie bitte die Stute als Geburtstagsgeschenk. John Bartholomew
Wie betäubt blickte Royal auf das
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