Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
bezeichnen können, war er sehr lebhaft und lächelte nun gewinnend.
„Ich bin entzückt, Mademoiselle. Seit unserer Ankunft hier in London vor einer Woche habe ich kaum anderes gehört als Gespräche über Sie.“
Mit offensichtlicher Gekränktheit schaute Royal ihre Tante an. Ein Ausdruck von Schuldbewußtsein malte sich in den schönen Zügen.
„Du ahnst ja nicht, mein Liebes, was es heißt, Schauspielerin zu sein. All die Proben, die Verpflichtungen. Gerade hier in London lag mir so unendlich viel daran, Erfolg zu haben. Ich habe so sehr gearbeitet, daß ich kaum eine Stunde Zeit für mich hatte. Das verstehst du doch, nicht wahr, Royal?“
Royal nickte, ohne wirklich überzeugt zu sein.
„Ich werde heute abend alles ausgleichen“, versprach Arabella. „Du wirst mit uns dinieren und dabei eine ganze Menge berühmter Leute sehen. Wir müssen doch meinen Triumph feiern.“
Die Enttäuschung traf Royal wie ein Keulenschlag. Sie konnte nicht bleiben, weil Alissa darauf wartete, sie ins Haus zu lassen, ohne daß einer es bemerkte.
„Das geht leider nicht, Tante Arabella. Ich habe mich heimlich aus der Schule geschlichen und muß um zehn Uhr zurück sein.“
„Ja, dann mußt du dich beeilen, das verstehe ich. Ich möchte natürlich nicht, daß du meinetwegen Schwierigkeiten mit dieser gräßlichen Vorsteherin bekommst.“
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Menschen drängten herein, plauderten, lachten und beglückwünschten die berühmte Schauspielerin zu ihrem großen Erfolg und schoben Royal beiseite. Sie warf noch einen letzten Blick auf Arabella und ging dann unbemerkt hinaus. Nicht, daß Arabella Bradford ihre Nichte nicht geliebt hätte, sie lebten einfach in verschiedenen Welten. Mit einem jähen Schmerz erkannte Royal, daß sie keine Familie hatte und ganz allein war.
Auf dem Weg durch den verlassenen Korridor und durch das leere Foyer entschloß sie sich, sich nur der schönen Begegnung zu Erinnern und alles andere zu vergessen. Sie freute sich, daß ihre Tante in der Heimat einen solchen Triumph erlebt hatte, und wünschte ihr für die Zukunft viel Glück. Gewiß würden sie einander so schnell nicht wiedersehen.
Auf den Stufen zur Straße zögerte Royal unsicher. Nur noch vereinzelte Kutschen waren zu sehen, und die ihre war nicht darunter. Royal schaute sich nach allen Seiten um. Der Mann hatte doch davon gesprochen, daß er sie nach der Aufführung erwarten wolle. Aus einem Wagen, dessen Tür ein großes Wappen zeigte, sprang ein Herr und musterte Royal unverschämt.
„Welch bezaubernde Schöne haben wir denn hier? Wer kann so blind sein, ein solch entzückendes Geschöpf warten zu lassen?“
Sie wandte sich ab und gab vor, ihn nicht gehört zu haben. Er trat einen Schritt näher, schwankte dabei leicht und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Schwer legte er ihr die Hand auf die Schulter. Kein Zweifel, der Gentleman hatte getrunken.
Royal wollte sich seinem Griff entwinden, doch er hielt sie fest. Verzagt sah sie sich nach Hilfe um und stieß hervor: „Lassen Sie mich los!“
Weit und breit war niemand, der ihr hätte beistehen können.
„Komm mit mir“, lallte der Betrunkene und wollte sie zu seinem Wagen ziehen. „Ich werde doch ein so hübsches Rippchen nachts nicht allein auf der Straße stehen lassen.“
Vergeblich versuchte sich Royal loszureißen. Der Fremde legte ihr den Arm um die Taille und preßte sie hart an sich. Sein Atem roch nach Alkohol. Der Kutscher schien blind für das, was sein Herr tat, und starrte reglos in die Ferne. Von ihm war keine Hilfe zu erwarten.
„Ich bitte Sie, geben Sie mir sofort den Weg frei, Sir. Ich will nach Hause.“
„Es ist noch viel zu früh für ein schönes Mädchen“, lallte er und ließ die Hand über ihren Hals gleiten. „Was für eine seidenweiche Haut …“
Sie schloß die Augen, angeekelt von der plump vertraulichen Berührung, und biß die Zähne zusammen. Erst als er mit einer raschen Bewegung ihr Kleid zerriß und sie gegen den Wagentritt drängte, schrie Royal leise auf, trat um sich und stieß den Mann zurück. Wieder griff er nach ihr, und sie wehrte sich mit aller Kraft. Ihre Angst wurde so übermächtig, daß sie fast nicht mehr atmen konnte. Gellend rief sie: „Loslassen!“
„Haben Sie nicht gehört, was die Dame sagte? Loslassen!“ Die Stimme klang hart und drohend.
Mit unvorstellbarer Erleichterung schaute Royal sich um und blickte in die blauen Augen Lord Prestons. Ihr
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