Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Peiniger gab sie unvermittelt frei und taumelte einen Schritt zurück. „Hol Sie der Henker, Preston, immer beanspruchen Sie die hübschesten Frauen für sich.“
„Es ist besser, Sie ziehen sich zurück, Ralph“, schlug der junge Lord schneidend vor.
„Ich bin schon dabei, Preston“, lallte der Betrunkene und schwankte auf seine Kutsche zu. „Denn ich will nicht stören. Ich sehe schon, daß ich hier überflüssig bin.“ Er verbeugte sich vor Preston Seaton und Royal und sagte: „Hätte mir denken können, daß Sie zu ihm gehören.“ Damit kletterte er schwerfällig in den Wagen. Die Pferde zogen an, und die Kutsche rollte davon.
Mit einem sorgenvollen Blick wandte sich Lord Preston an Royal. Als er das zerrissene Kleid bemerkte, hüllte er sie schnell in seinen Umhang. „Ist er Ihnen zu nahegetreten?“
Beschämt senkte Royal den Kopf. „Nein, ich bin nur so erschrocken. Ich danke Ihnen, daß Sie mir zu Hilfe gekommen sind.“
Er runzelte finster die Stirn. „Miss Bradford, was haben Sie hier ohne Begleitung zu suchen?“
Royal kam sich vor wie ein Kind, das sich verlaufen hatte. „Ich war in der Vorstellung und habe danach meine Tante getroffen. Ich wußte nicht …“
In seinem Gesicht zuckte ein Muskel. „Wie wollten Sie dann zur Schule zurückkommen?“
„Meine Tante hatte mir einen Wagen geschickt. Der Kutscher hatte den Auftrag, mich wieder heimzubringen. Aber er ist nicht da.“
Ein flüchtiger Gedanke erinnerte Lord Preston an die junge hübsche Schauspielerin, die auf ihn wartete, er schob ihn beiseite. Royal den Arm bietend, geleitete er sie zu seiner eigenen Droschke. „Dann werde eben ich Sie sicher zur Pulham School begleiten.“
Sichtlich erleichtert, unterdrückte Royal jede Widerrede und ließ sich von dem jungen Lord in die Kutsche helfen. Er nahm ihr gegenüber Platz und befahl dem Kutscher, zur Fulham School zu fahren.
Royal saß steil aufgerichtet da, als Lord Preston fragte: „Darf ich annehmen, daß Sie nicht oft dergleichen Ausflüge in die Freiheit wagen?“
„Das tue ich ganz gewiß nicht, Lord Preston. Glauben Sie mir, es ist dies das erste und einzige Mal. Aber ich habe meine Tante so lange nicht gesehen.“ Sie strich über die Seide des Kleides. „Sie hatte mir diese Toilette und die Eintrittskarte geschickt. Nach der Vorstellung wollten wir uns treffen.“ Royal hatte den Eindruck, sich wie ein albernes Kind benommen zu haben. Lord Preston mußte sie für töricht und unüberlegt halten.
„Ja, ich habe gehört, daß Arabella Bradford Ihre Tante ist“, räumte er ein und schaute Royal prüfend an. „Die Ähnlichkeit läßt sich übrigens nicht leugnen. Aber ich begreife nicht, daß Miss Bradford Sie ohne Begleitung allein zu der Schule zurückfahren lassen wollte.“
Obwohl Royal wußte, wie leichtsinnig das Verhalten ihrer Tante Lord Preston erscheinen mußte, versuchte sie, Arabella zu verteidigen.
„Sie hatte doch den Wagen bestellt, sie wußte ja nicht …“ Es kam Royal erst zum Bewußtsein, daß ihr die Tränen über die Wangen rannen, als der junge Lord ihr sein Taschentuch reichte.
„Nicht weinen, Miss Bradford, bitte. Vergessen Sie ganz schnell diesen häßlichen Vorfall. Es ist vorüber, Sie sind in Sicherheit.“ Er streckte die Arme aus und zog Royal behutsam an seine Seite.
Sie erstarrte und sagte leise: „Ich möchte nicht, daß Sie denken, ich … ich meine …“
„Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte er lächelnd. „Ich weiß, daß Sie ein Unschuldslämmchen sind, Miss Bradford. Meine Schwester hält mich über Ihr Tun und Handeln auf dem laufenden. Vielleicht überrascht es Sie, zu hören, daß ich sehr viel über Sie und Ihr Leben weiß.“
„Aber warum interessiert Sie das?“
Er sah nachdenklich in die blauen Augen. „Sie haben mich vom ersten Moment an bezaubert“, gab er unumwunden zu. Sonderbar; die Nähe dieses Mädchens ließ keine Ausflucht zu.
Royal blickte aus dem Fenster, etwas verwirrt durch die körperliche Nähe des Mannes, und ihr Herz schlug schneller. „Niemals hätte ich angenommen, daß Sie sich auch nur einen Gedanken lang mit mir beschäftigen könnten, Lord Preston.“
Sein Lachen klang belustigt. „Ich verfolge Ihr Treiben mit größter Aufmerksamkeit. Ich kenne Ihren Geburtstag und weiß sogar, daß Sie außer Ihrer Tante keine Verwandten mehr haben.“ Fast innig fügte er hinzu: „Und ich warte darauf, daß Sie älter werden, Miss Bradford.“
Verblüfft drehte sie ihm den Kopf zu.
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