Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
die Duchess und schaute zu Lord Preston, der sich eben einen Weg durch den Ballsaal bahnte und dabei den Tanzenden geschickt auswich. Er bemühte sich, zwei gefüllte Gläser unbeschadet zu den Damen zu bringen. Seine Mutter neigte sich näher zu Royal hin. „Es ist ein öffentliches Geheimnis, daß mein Zweitgeborener sich gegen die Heirat zur Wehr setzt, die wir für ihn ins Auge gefaßt haben. Ach, Royal, manchmal stellt Preston meine Geduld auf eine harte Probe. Aber sonst ist er ein guter Junge, finden Sie nicht auch?“
„Doch, natürlich, Durchlaucht. Lord Preston ist ein Mann von höchster Unbescholtenheit.“
Ein schräger Blick der alten Dame streifte sie. Irrte sie sich, oder klang die Stimme etwas scharf? „Ich habe öfter den Eindruck, daß sich Preston auffallend um Sie bemüht, mein Kind.“
Royal spürte, wie ihr jähe Röte in die Wangen stieg. „Ich darf doch hoffen, daß Sie nicht denken, ich hätte Lord Preston dazu ermutigt. Er hat keineswegs jemals auch nur eine Andeutung gemacht, daß er …“
Die Dowager Duchess öffnete den Fächer und schloß ihn wieder. „Natürlich nicht. Es wäre auch völlig unausdenkbar. Ich verzweifle nur manchmal schier daran, daß er nicht endlich ruhiger wird. Sie scheinen dagegen einen sehr wohltuenden Einfluß auf ihn zu haben, Royal.“ Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Wenn ich es richtig betrachte, läßt er sich überhaupt nur dann hier sehen, wenn Sie bei uns sind.“ Ohne auf Royals offensichtliche Verwunderung zu achten, wechselte die Dowager Duchess unvermittelt das Thema. „Er kommt auf uns zu. Natürlich ruhen aller Blicke auf ihm, besonders die der Damen.“
Das stimmte, und Royal lächelte. Wieder klang gleich darauf die Stimme der alten Dame etwas schärfer als eben noch, von einer ungeduldigen Handbewegung begleitet.
„Ich möchte mir wünschen, Preston erwiese seiner Verlobten, Lady Alice Stratton, ebensoviel Aufmerksamkeit wie Ihnen. Er vernachlässigt sie geradezu sträflich. Dabei ist gerade die Verbindung mit den Strattons äußerst bedeutsam für unsere Familie. Wenn er sich doch mehr um Lady Alice kümmerte, dann gäbe es endlich die oft ausgesetzte Vermählung, und ich hätte bald einmal Enkelkinder.“
Royal war wie vor den Kopf gestoßen, doch schon sprach die alte Dame weiter. „Sie mögen meinen Sohn, nicht wahr?“
„Gewiß, Durchlaucht, Lord Preston ist ein liebenswerter Mensch, ich mag ihn sehr gern.“
„Gut. Dann sehen Sie zu, daß sich seine Neigung zu Ihnen in Grenzen hält. Sie sind eine vernünftige junge Dame, ich vertraue Ihnen. Denn Preston kann nicht mehr allzulange darauf bauen, daß Lady Alice auf ihn wartet. Gewiß bemühen sich auch andere Gentlemen um sie, die es ohne weiteres mit einem Seaton aufnehmen können.“ Ein listiges Funkeln war in den kühlen Augen erwacht. Sie erhob sich und sagte leise, so daß niemand außer Royal es hörte: „Reden Sie mit meinem Sohn, heute noch. Auf Sie hört er. Lassen Sie ihn wissen, wie sehr sich sein Gefühl zu verirren droht.“
Royal war sprachlos. Was hätte sie wohl auch sagen können? Die Dowager Duchess glaubte doch nicht etwa, es sei ihre Schuld, wenn Lord Preston sich nichts aus der vorbestimmten Braut machte. Zwar verband vom ersten Sehen an Royal eine ganz eigenartige Beziehung mit dem jungen Lord. Eine kurze Zeitspanne, als sie noch jünger gewesen war, mochte sie vielleicht wirklich in den hübschen und heiteren Mann verliebt gewesen sein. Welches gefühlsbetonte Mädchen hätte sich dem Charme Prestons auch entziehen können? Doch keine Sekunde hätte sie sich erlaubt zu vergessen, daß er ein Edelmann und sie eine Bürgerliche war.
Sie hob den Kopf und schaute geradewegs zu Lord Preston auf, der neben sie getreten war und sie wie immer mit leuchtenden Augen anlächelte. Betroffen schlug Royal die Lider nieder und hoffte, die Dowager Duchess würde die Liebenswürdigkeit ihres Sohnes nicht mißverstehen und für anderes als die unverbindliche Galanterie eines Kavaliers halten.
„Ich bin überaus glücklich, Sie in Gesellschaft meiner Mutter zu finden und nicht von einem Schwärm junger Anbeter umgeben zu sehen“, sagte er und reichte ihr das Glas, in dem eine bernsteinhelle Flüssigkeit funkelte. Nein, seine Mutter irrte sich, er behandelte Royal nicht anders als Lady Alissa, seine Schwester, eben wie ein großer Bruder.
„Und was wäre gewesen, wenn Sie mich umschwärmt und belagert angetroffen hätten, Lord Preston?“ scherzte sie
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