Baphomets Bibel
Augen trat wieder der Glanz, der so lang vermisst worden war. Er stöhnte auf, und seine Hände fuhren diesmal über das Papier hinweg und näherten sich leicht zitternd von zwei Seiten der Figur.
Von den knöchernen dünnen Armen war nichts mehr zu sehen. Sie hatten sich voll und ganz in den Buchdeckel zurückgezogen und trafen auch keine Anstalten, sich wieder ins Freie zu drängen. Er wollte sie auch nicht mehr sehen, für ihn zählte jetzt einzig und allein diese eine Abbildung, deren Ränder er erreichte hatte – und abermals ein Phänomen erlebte.
In seine Finger hinein glitt eine besondere Ausstrahlung. Und sie stammte von der Figur Baphomet’s, der er sich immer mehr näherte, um sie dann zu berühren.
Es war perfekt.
Sie lebte!
Das spürte er genau unter seinen Fingerkuppen. Man konnte dabei von winzigen Bewegungen sprechen. Von den leichten Zuckungen irgendwelcher Muskeln, was man Tic nennt.
Ein lebendes Gesicht im Buch! Es war für ihn einfach umwerfend. Wieder wurde ihm bewusst, welch ein wertvolles Kleinod er in seinen Händen hielt.
Er flüsterte etwas vor sich hin, ohne dass er selbst verstand, was er sagte. Dafür streichelte er die Fratze, und seine Hände liebkosten sie. Baphomet war sein Herr und Meister. Er hatte ihn auf den Weg gebracht, den er gehen musste. Und nun hatte er ein fantastisches Machtinstrument in die Hände bekommen. Es war einfach phänomenal. Das hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Es fiel van Akkeren schwer, seine Fingerkuppen von der gemalten Gestalt zu lösen, aber er musste weiterblättern. Daran, dass sich in dieser Bibel des Bösen nur Zeichnungen befanden, wollte er auf keinen Fall glauben. Es musste auch einen Text geben.
Und den sah er plötzlich vor sich!
Aus seinem Mund drang ein Jubelschrei. Jetzt hatte er genau das, was er wollte. Van Akkeren spürte den Taumel, in den er hineingeraten war. Noch war es ihm unmöglich, sich auf den Text zu konzentrieren. Er verschwamm einfach vor seinen Augen und wurde zu einem grauen Etwas, das die Seiten beschmierte.
Van Akkeren rieb seine Augen. Er zwang sich zur Ruhe und zur Konzentration.
Dann las er!
Es war ein Versuch, und es blieb letztendlich dabei, denn die Sprache, in der die Texte geschrieben worden waren, kannte er nicht. Sie war ihm völlig unbekannt. Er konnte mit ihr nichts anfangen und saß weiterhin kopfschüttelnd in seinem Sessel.
Alles wollte er tun, nur nicht aufgeben!
Es musste ein Weg vorhanden sein, um die Träume der Menschen wahr werden zu lassen. Er glaubte nicht, dass er auf eine große Lüge reingefallen war.
Wie musste man den Text lesen!
Van Akkeren zögerte den Versuch noch hinaus. Er blätterte weiter und fand auch auf den nächsten Seiten Texte. Seine Hoffnung aber erfüllte sich nicht, denn er hatte sich vorgestellt, diese Stellen besser lesen zu können. Es war leider ein Irrtum, denn auch diese Sprache war und blieb ihm unbekannt.
Van Akkeren wusste nicht, ob er darüber enttäuscht sein sollte. Gut, er hatte sich so großartige und auch gute Gedanken gemacht, aber jetzt stand er vor einer gewaltigen Mauer, die für ihn ein einziges Rätsel war.
Das Buch war zwar dick, doch durch die Dicke der einzelnen Seiten konnte er schnell durchblättern. Das tat er auch, aber er gab dabei Acht, kein Blatt zu zerstören oder auch nur zu knicken.
Als er das Buch zuschlug, konnte er sich auch wieder entspannen. Die bohrenden Fragen allerdings blieben. Wie sollte er den Text entziffern? Wen musste er dafür ansprechen?
Oder war dieser Text in einer Sprache geschrieben worden, die man nicht mehr kannte?
Das wollte er auch nicht glauben. Die Baphomet-Templer hatten es in das Versteckt gelegt. Sie wollten damit einen Gegenpol zu dieser Kathedrale bilden, und weil dies so war, musste er einfach davon ausgehen, dass dieses Buch schon eine Macht darstellte. Darin hatten seine damaligen Freunde ihr Wissen um den dämonischen. Baphomet-Zauber niedergeschrieben. Leider war die Zeit vorbei.
Er schlug das Buch noch einmal auf. Diesmal war es irgendeine Seite. Er beugte sich über sie und unternahm den ersten Versuch, die Zeilen zu lesen.
Er wollte es tun, ohne dass er verstand, was er da las. Ganz einfach nur aussprechen. Möglicherweise reichte die einfache Phonetik.
Was in der folgenden Zeit über seine Lippen drang, das hatte mit einer menschlichen Sprache nicht viel gemein. Man konnte von irgendwelchen Urlauten sprechen, die in van Akkeren’s Kehle geboren
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