Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Reling. Dann die zweite.
Er zog sich an Bord. Wasser troff aus seinen Haaren, von seinem Leib. Er trug nichts mehr außer einer schmutzigen Hose, auch sein Schwert war ihm abhandengekommen. Die Menschen des Vergnügungsschiffes bemerkten ihn erst gar nicht, dann schrie eine Frau, deutete klirrend mit einem vielfach bereiften Arm, dann gellten ein paar raue Befehle, dann umstellten ihn vier Sklaven mit Speeren.
Er rührte sich nicht, lehnte sich gegen die Reling und atmete. Das Wasser hatte schwer an ihm gezogen, die Distanz bis zu dem Schiff mit den abendroten Segeln war beträchtlich gewesen.
»Wie ist er hier hochgekommen? Niemand kann aus dem Wasser bis zur Reling hochreichen!«
Das Schiff war breit und flach und schien überwiegend aus geflochtenen Korbweiden zu bestehen. Einzig die Reling war umlaufend aus stabilem Holz gefertigt. Zwei Masten, die Segel dreieckig, mehrere übereinander, bleiches, warmes Glühen.
»Die Ankerkette! Ich habe euch gleich gesagt, an der kann Ungeziefer hoch!«
Falls es überhaupt noch ein Unterdeck gab, musste dieses sehr niedrig sein, sehr unkomfortabel. Umso gemütlicher wirkten die hellen, halb durchscheinenden Zelte, die auf Deck aufgebaut und mit Kissen, Teppichen und Fellen drapiert waren.
»Wer hätte denn ahnen können, dass …?«
Männer und Frauen aalten sich träge auf den Liegestätten der Zelte. Es waren sechs Zelte, etwa zehn Männer und zwanzig Frauen. Die Männer sahen gewöhnlich aus, einige waren kahl oder fett oder alt. Die Frauen waren ausnahmslos schön und jung, wie in Ionies Haus der Freuden. Sie trugen kaum Kleidung. Zwei von ihnen waren nicht nur nackt, sondern sogar beringt und eingeölt.
»Eigentlich gibt es hier keine Piraten, das ist doch nur ein See !«
Die vier Sklaven, die ihn umstellten, hatten rasierte Köpfe und trugen lächerliche enge goldene Glanzhöschen, die ihre Hinterbacken und Hoden hervorhoben. Sie waren die einzigen Bewaffneten, die er sehen konnte.
»Dennoch … es hätte nichts gekostet, die Ankerkette mit Glasscherben zu umwinden.«
Dann gab es in einem der hinteren Zelte noch einen riesigen, feisten Klops, der nur aus Muskeln und fettig glänzender Körperbehaarung zu bestehen schien. Der Klops ließ sich gerade von drei Frauen gleichzeitig massieren und befahl ihnen, sich durch den Zwischenfall nicht aus dem Takt bringen zu lassen. Niemand an Bord trug einen Helm.
»Nun seht ihn euch an !«
Die Reichen, die gerade eben noch aufgebracht durcheinandergeschnattert hatten, verstummten. Eine Frau bahnte sich einen Weg zwischen ihnen hindurch. Sie war dunkelhäutig, wohlgeformt, und ihr Gesicht wies die Schönheit einer Königin auf. Ihr goldenes Gewand umfloss ihren Leib und betonte mehr, als es verhüllte. In kunstvollen Locken wallte ihr schwarzes Haar bis hinunter zum Hintern. Ihr Gang war wiegend wie der einer großen Katze auf der Jagd.
»Vielleicht will er ja bei uns mitmachen «, gurrte sie. »Sieht er nicht aus, als wäre er prädestiniert dafür, bei uns mitzumachen? Sag, stattlicher Fremder, möchtest du bei uns mitmachen? Hast du einen prächtigen Schwanz? Ich wette, du hast einen prächtigen Schwanz. Alles andere an dir sieht jedenfalls ausgesprochen prächtig aus.«
Er antwortete nicht. Überblickte weiterhin die Lage. Wo war die Schiffsbesatzung? Der Segler ankerte mitten im See, also brauchte er im Moment nicht gesteuert zu werden. Nichtsdestotrotz musste es eine Besatzung geben. Die hatte sich wahrscheinlich unter Deck zurückziehen müssen, um die Reichen nicht zu stören. Durch Anwesenheit. Durch den Anblick unfeinerer Leiber.
Der Duft gebratener Wachteln stieg ihm in die Nase. In den Zelten gab es alles. Seewassergekühlten Wein. Früchte. Fettgebackenes. Kandiertes. Bratenfleisch. Gekräuterte Erdäpfel. Er spürte, wie sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog. Es war schon lange her, dass er etwas Besseres als ein paar ungesüßte Kekse zu sich genommen hatte.
Die Dunkelhäutige betrachtete ihn weiterhin und lächelte dabei lüstern. Jetzt erwiderte er ihren Blick. Unverschämt.
Ihr Lächeln wurde zu einem Schmollen. »Er spricht nicht mit mir. Valenzio, mein Schatz, er hält es für unter seiner Würde, mit mir zu sprechen.«
»Setepenre, mein Juwel, lass dich nicht ärgern. Werft ihn über Bord und gut. Wollen doch sehen, ob er die sagenhafte Frechheit besäße, ein zweites Mal aufzuentern.« Ein Blondling schälte sich aus einem der Zelte und gesellte sich an die Seite der Dunkelhäutigen.
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