Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Anstalten, mit der Speerspitze tief in seinem Inneren einzuknicken. So etwas hatte auch der Barbar noch nicht erlebt. Er spürte die Reling näher kommen. Borr wollte ihm darauf wahrscheinlich das Kreuz brechen, er konnte sich nicht vorstellen, dass er ihn einfach nur ins Wasser schleudern würde. Nicht nach dem, was er ihm angetan hatte.
Er versuchte sich gegenzustemmen, doch Borr war stärker, weil sein gesamter Leib zwei- bis zweieinhalbmal so schwer war wie der des Barbaren.
»Macht sie nackt!«, forderte Setepenre. »Zieht ihnen die Hosen runter, schnell, bevor es vorbei ist!«
Niemand reagierte.
Der Barbar rammte Borr einen Daumen ins linke Auge und drang so tief wie möglich in den glitschigen Schädel vor. Borrs Zunge, durch den Unterkiefer nicht mehr geborgen, zuckte wie eine pockenhäutige Riesenschnecke. Sein Atem stank nach Wein und weiblicher Scham. Der Barbar rammte ihm ein Knie zwischen die Beine. Einmal. Zweimal. Dreimal. Jedes Mal mit noch mehr Wucht. Borr schob ihn unaufhaltsam vorwärts. Setepenre hüpfte auf der Stelle, barfuß, beide Hände vorm Mund.
Jetzt hob Borr seinen Gegner ein wenig an, um ihn auf die Reling niederkrachen zu lassen.
Der Barbar sah den Tod. Der Tod hatte nur ein Auge und einen zerfetzten Kiefer. Er roch nach haltloser Gier und Schweiß und Blut, und sein Körper war fellbedeckt wie der eines Tiers.
Er trat dem Tod die Beine unterm Körper weg. Das war nicht ungefährlich, denn gleichzeitig musste er sich und ihn ein wenig herumdrehen, um nicht alleine schon durch Borrs Fallgewicht auf der Reling zerbrochen zu werden.
Es gelang knapp.
Borr krachte mit der Schulter auf das Hartholz der Reling. Der Barbar entwand sich dem leicht schlotternden Griff nun, packte den Koloss bei den kurzen Haaren und trümmerte ihm das Gesicht auf die Relingkante.
Zuerst war das ein unbeholfenes Rutschen, dem eigenen Ende nur um Haaresbreite entronnen. Doch dann begann er besseren Halt zu finden, die eigenen Beine sicher auf den Planken. Viermal schlug er das Gesicht des Kolosses auf die unnachgiebige Kante. Setepenre jauchzte, als der Schädel nachgab und sich zu etwas Gesplittertem verformte. Der Barbar schlug weiter, denn noch immer hielt Borr ihn gepackt und kratzte und fingerte an seinem Rücken herum. Es begann unverkennbar nach Gehirn zu riechen.
Borr lebte noch immer. Sein Körper übte verschiedene Funktionen aus, schien sie nacheinander auszuprobieren wie in einem Versuchsdurchlauf.
Insgesamt zwanzigmal – »Nicht!«, schrie eines der Mädchen, und einer der Männer übergab sich zwischen die Kissen – matschte der Barbar Borrs zerstörten Schädel auf das Holz, bis dessen Bewegungen endlich erstarben. Ächzend ließ der Barbar den Koloss fallen, denn die ganze Zeit über hatte er dessen Körper zumindest halbwegs aufrecht halten müssen, um mit seinem Gesicht die Reling überhaupt erreichen zu können.
Er zitterte vor Anstrengung, doch dieses Zittern rollte durch ihn hindurch wie ein fernes Gewitter und ließ sich verdrängen. Er wälzte den Toten auf den Rücken und riss den Speer heraus, dessen Schaft zwar zerbrochen war, dessen Spitze mit halbem Schaft aber immer noch die beste Waffe darstellte, die ihm hier an Bord zur Verfügung stand.
Alle auf Deck waren schreckensstarr. Der eine kotzte noch immer, ausgiebig und vielfarbig. Mehrere Mädchen weinten halb abgewandt, hielten sich aneinander fest wie bei schwerer See. Bei allen war etwas zerrissen, ein vergnüglicher Schleier, eine Verabredung, die nun nicht eingehalten worden war. Alle muteten unwirklich und fahl an. Alle bis auf Setepenre, die belustigt kicherte und umhertrippelte. »Hast du jetzt einen stehen?«, fragte sie den Barbaren. »Ich wette, du hast einen stehen! Komm, zeig ihn mir, ich will ihn anfassen und küssen!«
Valenzio wurde jetzt wütend. »Bleib weg von ihm, verdammt noch mal! Siehst du denn nicht, wie gefährlich er ist? Er hat Borr umgebracht! Borr war unersetzlich! Besonders für dich!«
»Aber es war schön! Es hat doch Spaß gemacht!«, beharrte das Mädchen. Der Barbar fragte sich, wie alt sie eigentlich war. Neunzehn? Neunundzwanzig? Ihr Alter schien mit ihrem Gesichtsausdruck zu schwanken.
Valenzio zerrte an ihr herum, ihr Gesicht entstellte sich vor Wut, sie war jetzt wieder neunundzwanzig. »Lass mich! Du hast mir nichts zu sagen! Du kannst ja nicht einmal an Bord deines eigenen Schiffes die Ordnung aufrechterhalten!«
»Was meinst du damit? Was kann ich denn dafür, wenn dieser …
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