Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
das gegen ein richtiges wahrscheinlich beim dritten Schlag zerbrechen würde. Aber das machte nichts. Er hatte nicht vor, gegen diese Waldmenschen zu kämpfen. Es waren ohnehin zu viele.
Er wollte hindurch, unbehelligt. Wie der Kommandant gesagt hatte.
Die Waldmenschen sahen etwas in ihm, mit dem sie lieber nicht in Berührung kommen wollten.
Er rannte. Der Himmel wütete vorüber, gegeißelt von Ästen und Blattwerk.
Hier fand er sich zurecht. Man hatte ihm den Weg beschrieben, Marken, denen er folgen konnte. Ein umgestürzter Baum. Ein Flusslauf. Eine Brücke aus Ranken über dem Fluss.
Er folgte. Rannte. Atmete.
Wenn er rastete, rasten seine Gedanken.
Je mehr er von der Welt erfuhr, desto weniger begriff er.
In den Städten herrschten andere Gesetze als draußen in den Wäldern, Sümpfen, Bergen und Steppen.
Menschen gaben sich diese Gesetze. Sie gaben sie sich selbst.
Aber sie brachen sie auch. Nach eigenem Gutdünken.
Wenn du reich warst, konntest du auf einem Schiff mitten im See tun und lassen, was du wolltest. Sogar Töten war dann kein Problem mehr. Also näherten sich die Gesetze, je wohlhabender jemand war, wieder den Gesetzen der Wälder und Steppen an. Er hatte erwartet, dass das anders sein würde. Genau umgekehrt. Je vornehmer, desto weiter entfernt von den Wäldern. Er fragte sich, wozu man die Wälder dann überhaupt verließ.
Aber das war nicht das einzige Rätsel.
Wenn er versuchte, nicht alleine zu sein, fühlte er sich einsamer als sonst.
Jede Horde löste sich auf.
Jede Ortschaft konnte vernichtet werden.
Jede Sache mit einer Frau war so flüchtig wie eine zufällige Berührung von Ärmelstoffen beim Vorüberhasten.
Je mehr er aß, desto hungriger war er in den Tagen darauf.
Je mehr er trank, desto mehr wollte er trinken.
Je mehr er kämpfte, desto weniger Lust hatte er aufs Kämpfen, aber desto mehr Gegner wollten sich mit ihm messen. Je stärker er wurde, desto schwächer wollte man ihn sehen.
Und wieder beauftragte man ihn damit, Götter zu zerstören.
Das war nun schon das zweite Mal nach dem vermeintlichen Gott, der das Bergdorf geknechtet hatte.
Diesmal eine Statue.
Was sahen die Menschen in ihm, dass es ihnen in den Sinn kam, er könnte ein Niederwerfer von Göttern sein? Behauptete er jemals, alles zu können? Prahlte er?
Aber war es nicht leicht, Götter zu vernichten? War es nicht eine der einfachsten Aufgaben überhaupt?
Was bedeutete dies?
Dass Götter die schwächsten Wesen waren, die es gab?
Mussten sie deshalb in den Himmeln wohnen und die Welten formen – weil ihnen für alles Sinnvolle keine Kraft mehr blieb?
Der Wald peitschte um ihn herum mit seinen immergrünen Dornenarmen, und er eilte hindurch, über Lichtungen, durch Unterholz, vom Licht in den Schatten und wieder zurück. Als liefe er im Kreis. Immer, immer nur im Kreis.
Er erinnerte sich an das Drachennest. Die Plünderbeute. Immer, immer nur im Kreis.
Ein Betrunkener hatte ihm – warmen Fusel im Atem – mal erzählt, dass das Leben ein Kreislauf sei, ein ewiger Kreislauf aus Werden und Vergehen, und dass auch die Welt rund sei, irgendwie rund, wie ein Ball vielleicht sogar oder zumindest wie ein Ei. Dass, wenn man immer geradeaus liefe, man wieder dort ankäme, wo man losgerannt sei.
Er hatte das nicht verstanden, nicht geglaubt. Aber manchmal glaubte er, Anhaltspunkte dafür erhaschen zu können. Wenn die Bäume sich ähnelten, die er passierte. Wenn er abermals einen Bachlauf kreuzte, mit einem weiten Sprung, und dessen Streben in einer einzigen Richtung bedeutungslos hinter ihm zurückblieb. Wenn er wieder denselben Menschen begegnete.
Wie jetzt.
Es waren dieselben. Er erinnerte sich an eine Jagd. An das Erstürmen der Burg des Heiligen. Alle diese Waldmänner sahen sich ähnlich, er konnte sie kaum auseinanderhalten. Sie vergrößerten ihre schrumpeligen Gemächte, indem sie sie hochbanden und mit Holzröhren verlängerten. Es war albern. Kindisch. Sie waren wie Bengel mit reißzahnigen Äxten.
Sie waren zu sechst.
Schnatterten aufgeregt. Fächerten sich auf, die Arme angewinkelt. Trillerten wie Vögel.
Er verlangsamte. Breitete seine Arme aus, zeigte die leeren Handflächen her. Ging zwischen ihnen hindurch. Ein Erwachsener zwischen Kindern.
Einer von ihnen berührte ihn am Arm.
Er blieb stehen, wandte sich dem Berührer zu. Der schreckte zurück, näherte sich dann wieder, berührte erneut. Er ließ sich berühren. Die sechs zirpten wie Zikaden. Betasteten seine Haare, die
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