Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Lichtung in den Rücken der Statue. Dann näherte er sich diesem Rücken über offenes Gelände. Als er den Rücken erreicht hatte, drückte er sich dagegen, Brust gegen Rücken. Der Stein fühlte sich warm an, die Sonne hatte ihn lange beschienen. Seine Oberfläche war rau und modelliert genug, um sogar ein Erklettern ohne Seil zu ermöglichen. Das war aber sinnlos. Er musste ja dort oben beide Hände frei haben, um arbeiten zu können.
Er umrundete den Rücken, erreichte den ersten Wächter, schnitt ihm den Hals durch. Der zweite schreckte auf, doch zu spät. Der Halbkreis-Rückhandhieb kam von links unten und ging nach rechts oben. Die Haare des Waldmannes, seine beiden Arme und auch sein Blutstrahl reckten sich allesamt nach dem stürmisch rasenden Himmel, dann kippte er nach hinten und blieb liegen. Der Barbar steckte das Schwert zurück, ohne es vorher im Gras zu reinigen. Er nahm sich die beiden Äxte der Waldmänner. Grobe, wie mit Feuerstein behauene Steinklingen. Weniger scharf als Stahlbeile, aber schwer und wuchtig genug, um ein parierendes Schwert zu zerbrechen. Besonders ein Stutzerschwert wie seins. Jetzt würden sie ihn mit ihrem Gewicht behindern, also legte er sie wieder ab.
Hatte sich der Wind verändert?
War da ein schärferes Zischen in den Wipfeln?
Die Augen des Falkengottes noch unerbittlicher, raubvogelhafter als vorhin, ihn betrachtend?
Nein, das war alles nur Einbildung. Es hatte sich nichts getan.
Er blickte sich um, suchte den Proviant der beiden. Ein Feuer hatten sie nicht gemacht. Er fand einen Tuchbeutel, verborgen in hohem Gras. Maismehlbrot und Früchte, ein einziger Streifen getrockneten Sehnenfleischs. Er schlang alles hinunter. Das Fleisch war gesalzen und würde ihn durstig machen. Die Wächter hatten kein Wasser, genauso wenig wie er. Aber in diesem Wald wimmelte es von Bächen. Der letzte, den er übersprungen hatte, war nicht weit entfernt.
Er verband seine Seile mit Haken. Das eine Seil warf er hinauf, siebenmal, bis der Haken sich endlich am Kopf der Statue festfraß. Das zweite Seil rollte er sich über die Schulter, auch dieses mit Haken versehen.
Er enterte auf, nur die Arme zum Ziehen benutzend, mit den Füßen ging er das Standbild entlang, als stünde es nicht aufrecht, sondern läge am Boden. Moos schabte von seinen Sohlen und von oben, von dort, wo das Seil auflag und sich spannte.
Kam da ein Stöhnen aus dem Inneren des Standbilds?
Unsinn. Höchstens der Wind.
Er erreichte den Kopf. Hielt sich am Schnabel fest, zog sich auf die eine Schulter, von der aus das riesig wirkende Auge gut zu erreichen war.
Das Auge war eine glatte Halbkugel, überschattet von einer ernst wirkenden Vogelbraue. Beinahe andächtig berührte er dieses Auge. Es fühlte sich kühler an als der Rest der Statue. Weil es von der Braue überschattet war, natürlich. Es war eine feine Arbeit. Von Alter und Moos noch unzerfurcht.
Er holte Hammer und Meißel aus seiner Umhängetasche und machte sich ans Werk.
Spitz und knöchern hackten die Schläge in den Wald hinaus. Sie mussten weithin hörbar sein. Wahrscheinlich würde es bald vor Wilden nur so wimmeln. Bis dahin musste das Standbild dermaßen verunstaltet sein, dass sie entsetzt auf die Knie taumelten, anstatt an einen Angriff auch nur denken zu können.
Das dauerte alles viel zu lange.
Er hämmerte an dem Auge herum, ohne mehr als winzige Segmente abbrechen zu können. Er schaffte lediglich ein Glitzern in das Auge des Falken. Es war geradezu unheimlich, wie lebendig das vorher wie blinde Auge nun durch diese Schadstelle wirkte.
Der Plan des Kommandanten ging nie und nimmer auf.
War da nicht ein Rascheln unten im Geäst? Im Unterholz? Kamen sie schon? Nein, da war nichts zu sehen. Aber sie waren grün bemalt, waren selbst wie Moos und Flechten. Was, wenn er sie von hier oben aus einfach nicht sehen konnte, während unten sich längst eine unüberwindliche Übermacht versammelte? Sechs waren schaffbar, zehn sehr schwierig, zwanzig nicht mehr zu bezwingen.
Er hämmerte und hämmerte. Klick-klick-klick. Klick-klick-klick. Ein Vogel rauschte vorüber. Ein Falke? Gut möglich.
Steinsplitter spritzten ihm ins Gesicht. Zielten nach seinem eigenen Auge, verfehlten es nur knapp. Eine Schramme. Eine winzige Narbe am Augenwinkel.
Das brachte nichts.
Der Wind wurde stärker, rüttelte an ihm.
Das war idiotisch mit den Augen. Er musste den Schnabel angreifen. Den Meißel mitten hineintreiben. Mit Wucht. Vielleicht brach dann der
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