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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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konnte. Das wurde ihm abgenommen, während die Laute selbst nach kurzer Prüfung an ihn zurückgereicht wurde.
    Der Magistrat hatte nur eine Schnupftabaksdose dabei. Die durfte er mitnehmen.
    Der Barbar trug zwei Steinäxte im Gurt. Man forderte sie von ihm. Er reagierte nicht. Nur zur Verwahrung, erläuterte man. Er reagierte nicht. Er könne sie sich selbstverständlich wieder abholen, wenn er das Fest verließe. Er reagierte nicht. Hier drinnen drohe ihm keine Gefahr. Er reagierte nicht. Es seien keine Waldmenschen eingeladen. Er reagierte nicht.
    Der Geruch der süßlich-würzigen Soße erfüllte seine Nüstern. Er schnupperte und händigte die Waffen aus.
    Man geleitete sie weiter, zu einem zweiten Portal, das wie zwei ineinandergeschobene Taubenflügel war.
    Der Magistrat hatte gewusst, was ihn erwarten würde, er hatte sich sehr gefreut und die ganze Zeit über kichernd vor sich hin gebrabbelt.
    Er hatte sich die Hände gerieben.
    Das Wasser war ihm im Munde zusammengelaufen.
    Er hatte schmatzende Geräusche gemacht. Sich die Zähne gereinigt. Die Blase entleert.
    Dann war er mitgekommen.
    Kichernd, beinahe hüpfend, die Hände reibend. Vor sich hin brabbelnd.
    Schmatzend.
    Er wusste, was ihn erwartete.
    Man geleitete sie weiter, zu einem zweiten Portal, das wie zwei ineinandergeschobene Taubenflügel war.
    Die Flügel schwangen auf, erneut von Dienern betätigt. Dahinter öffnete sich der Festsaal. Das gesamte riesige Haus schien innen ausgeschabt worden zu sein wie ein Kürbis und nur noch aus diesem gigantischen Saal zu bestehen, der drei Stockwerke hoch war und umlaufende Galerien besaß, fast wie ein Theater.
    Eine solche PRACHT hatte der Barbar noch niemals zuvor in seinem Leben zu Gesicht bekommen.
    P urpurn stürzten sich Stoffbahnen von der Decke, glitten in Kaskaden an den Wänden hinunter, kunstvoll drapiert, die Formen und Winkel umschmeichelnd, verbergend, über Borten, Intarsien und Verkleidungen. Es sah aus, als würde der Raum bluten, aber nicht gewaltsam und wild, sondern kontrolliert und in Bahnen, als wäre man im Inneren eines Leibes geborgen.
    R eflexe sämtlicher Schattierungen brachen sich in riesigen kristallenen Lüstern, die mit Kerzen besteckt ebenfalls von der Decke hingen wie in der Luft gefrorene Ballungen unwirklich schönen Regens, nein: Hagels! Jede Kerze vervielfachte sich in diesen Edelsteinen, wurde zu hundert Kerzen, zu einem zersplitterten Sonnenreich von dennoch sonnenunähnlicher Mattheit und Melancholie.
    A n den Wänden fanden sich Spiegel, die weitere Multiplikationen zur Folge hatten. Der gesamte Raum wirkte dadurch nicht nur noch größer, als er ohnehin schon war, sondern er schien auch in unwirkliche Nebenräume auseinanderzufließen, in denen immer wieder dasselbe Geschehen mit denselben handelnden Personen gegeben wurde, bis in alle Ewigkeit. Während die Kristallleuchter das Licht zerbrachen, widerlegten die Spiegel den Raum und die Zeit.
    C hrysanthemen mit rosafarbenen Blättern und gelben Zungenblüten steckten in Hunderten von Vasen und obszön geformten Gefäßen. Sie rochen nach nichts, aber erinnerten an Sonnen oder Wunden, an etwas fleischlich Aufplatzendes und dadurch unwiederbringlich Vergehendes. Ihre Struktur war eher ledrig, und dennoch vermittelten sie durch ihre Färbung etwas Fiebriges, Unstetes.
    H inter den mit goldlackiertem Schnitzwerk verzierten Balustraden der oberen Galerieumläufe verbargen sich die Musikanten, die mit ihren Blasinstrumenten – einige davon waren tatsächlich Blase balg instrumente – die gesamte Halle in Schwingung und Töne versetzten. Die Musik war mitnichten aufdringlich und laut, sie schien alles Geschehen lediglich zu untermalen und zu akzentuieren. Und sie wirkte zusätzlich darauf hin, dass der Raum seine Grenzen und seine Bedeutung einbüßte, denn Stimmen verloren ihre Richtung, versanken im oberhalb wogenden Meer der Töne, und alles, alles fügte sich wie in einem Schreittanz zu etwas Neuem und in jedem weiteren verstreichenden Moment abermals Neuem zusammen.
    T ische unterteilten den Bodenraum, verhängt mit kostbaren, beinahe durchscheinenden Tüchern und in Mustern übersät mit Geschirr aus goldverziertem Porzellan und Besteck aus reinem Silber. Es waren vier längliche Tische um einen mittleren Bereich herum. An jedem dieser Tische saßen fünf Menschen in fliederfarbenen Mönchskutten, insgesamt also zwanzig. Auch Frauen waren darunter, ihre Kleidung unterschied sich in nichts von der der Männer. Die

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