Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
am Morgen von Marlascas Todestag abgehoben wurde, ebenfalls in bar. Später behaupteten die Anwälte, das Geld sei auf eine Art Sperrkonto überwiesen worden, also nicht verschwunden, Marlasca habe bloß beschlossen, seine Finanzen neu zu ordnen. Ich kann aber nur schwer glauben, dass einer am Morgen seine Finanzen neu ordnet und fast hunderttausend Francs verschiebt und am Abend lebendigen Leibes verbrannt wird. Ich glaube nicht, dass dieses Geld in irgendeinem geheimnisvollen Fonds verschwand, sondern bin überzeugt, dass es bei Jaco Corbera und Irene Sabino gelandet ist. Wenigstens zuerst -ich bezweifle, dass sie nachher auch nur einen Céntimo gesehen hat. Jaco ist mit dem Geld verschwunden. Auf Nimmerwiedersehen.«
»Und was ist dann aus ihr geworden?«
»Das ist ein weiterer Punkt, der mich annehmen lässt, dass Jaco Roures und Irene Sabino betrogen hat. Kurz nach Marlascas Tod hat Roures das Geschäft mit dem Jenseits aufgegeben und einen Laden für Zauberartikel in der Calle Princesa aufgemacht, den es meines Wissens immer noch gibt. Irene Sabino hat noch zwei Jahre in Nachtklubs und immer schäbigeren Lokalen gearbeitet. Das Letzte, was ich von ihr gehört habe, ist, dass sie im Raval auf den Strich ging und im Elend lebte. Offensichtlich hat sie nicht einen einzigen Franc von diesem Geld bekommen. Und Roures auch nicht.«
»Und Jaco?«
»Höchstwahrscheinlich hat er das Land unter falschem Namen verlassen und lebt irgendwo auf der Welt komfortabel von den Zinsen.«
Statt allmählich klarer zu sehen, taten sich mir nur noch mehr Fragezeichen auf. Anscheinend interpretierte Salvador meinen bekümmerten Blick richtig, denn er schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln.
»Valera und seine Freunde im Rathaus haben erreicht, dass die gesamte Presse die Geschichte über den Unfall brachte. Außerdem hat er die ganze Angelegenheit mit einer herrschaftlichen Bestattungsfeier bereinigt. Zum einen, um die Geschäfte der Kanzlei nicht zu gefährden, die zum guten Teil ja auch die Geschäfte von Rathaus und Abgeordnetenversammlung waren, und zum anderen, um Señor Marlascas merkwürdiges Verhalten in den letzten zwölf Monaten seines Lebens vergessen zu machen. Denn er hatte sich schließlich von seiner Familie und seinem Partner getrennt, ein baufälliges Haus in einem Stadtteil erworben, in den er sein Leben lang keinen seiner gut beschuhten Füße gesetzt hatte, um sich, laut seinem ehemaligen Partner, nur noch dem Schreiben zu widmen.«
»Hat Valera gesagt, was Marlasca schreiben wollte?«
»Einen Gedichtband oder so etwas.«
»Und Sie haben das geglaubt?«
»Ich habe bei meiner Arbeit viel Seltsames gesehen, mein Freund, aber wohlhabende Anwälte, die alles hinschmeißen, um in der Abgeschiedenheit Sonette zu dichten, gehörten bis dahin nicht zu meinem Repertoire.«
»Und dann?«
»Dann wäre es das Vernünftigste gewesen, das Ganze zu vergessen und das zu tun, was mir aufgetragen wurde.«
»Was Sie aber nicht getan haben.«
»Nein. Und nicht, weil ich ein Held oder ein Schwachkopf gewesen wäre. Ich habe so gehandelt, weil es mir jedes Mal den Magen umgedreht hat, wenn ich diese arme Frau sah, Marlascas Witwe, und weil ich nicht mehr in den Spiegel schauen konnte, wenn ich nicht tat, wofür ich meiner Meinung nach bezahlt wurde.«
Er zeigte auf die erbärmliche, kalte Wohnung um uns herum und lachte.
»Glauben Sie mir, wenn ich das hätte kommen sehen, wäre ich lieber ein Feigling gewesen und nicht aus der Reihe getanzt. Ich kann nicht behaupten, man habe mich im Präsidium nicht gewarnt. Nachdem der Anwalt beerdigt war, wäre es Zeit gewesen, das Ganze ad acta zu legen und sich ganz auf die Verfolgung hungerleidender Anarchisten und ideologisch verdächtiger Schulmeister zu konzentrieren.«
»Sie sagen beerdigt – wo ist denn Diego Marlasca eigentlich beerdigt?«
»Ich glaube, im Familiengrab auf dem Friedhof San Gervasio, nicht weit vom Haus der Witwe entfernt. Darf ich fragen, warum Sie diese Geschichte interessiert? Und sagen Sie nicht, Ihre Neugier sei nur darum erwacht, weil Sie im Haus mit dem Turm wohnen.«
»Das ist schwer zu erklären.«
»Wenn Sie einen freundschaftlichen Rat wollen, dann schauen Sie mich an und ziehen Sie eine Lehre daraus. Lassen Sie die Hände davon.«
»Das würde ich ja gern. Dummerweise glaube ich, dass die Geschichte die Hände nicht von mir lässt.«
Salvador sah mich lange an und nickte. Dann schrieb er eine Nummer auf einen Zettel.
»Das ist das Telefon
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