Bardenlieder von Silbersee - Die Drachenreiter 1: Schicksalsschlaege (German Edition)
werden.«
Atharis sah an sich selbst hinunter. Er konnte nicht leugnen, dass sein Körper gut durchtrainiert war. Sehnen und Muskeln traten deutlich hervor. Dennoch hatte er sich immer als schlank und wendig gesehen. In seiner Vorstellung verglich er sich mit dem klassischen Bild eines der Kerle, deren Schultern so breit waren, dass sie die Sonne verdunkelten, wenn sie sich vor einem aufbauten. Üblicherweise traf man solche Männer in ungemütlichen Kneipen an, wo sie ein Garant für zerschlagene Stühle waren. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf.
Linara beobachtete ihn amüsiert. Sie konnte sich vorstellen, was er dachte, und hatte Mühe, nicht laut aufzulachen.
Atharis verscheuchte die Vorstellung aus seinem Kopf und verstaute die Armbrust wieder an ihrem Platz.
»Du hast gewonnen«, meinte er resignierend.
Dann nahm er eines der Schwerter, die auf dem Boden des Schrankes lagen, betrachtete es skeptisch, rümpfte die Nase und legte es wieder beiseite. Diesen Vorgang wiederholte er mehrere Male, bis er das dritte oder vierte Schwert aufnahm. Nachdenklich betrachtete er die Klinge und hielt sie ins Licht, das jedoch keine Chance hatte, von der dicken Rostschicht reflektiert zu werden. Atharis reichte die Waffe seiner Schwester.
»Es ist eine Zumutung, welche Waffen das Land den Soldaten zur Verfügung stellt, und ein Wunder, dass wir mit diesen Klingen überhaupt eine Schlacht gewinnen konnten. Da du kein eigenes Schwert besitzt, bitte ich dich, dieses zu nehmen, bis du etwas Besseres gefunden hast. Versuche erst gar nicht, alle Scharten herauszuschleifen – es wäre vermutlich eine Lebensaufgabe!«
Linara blickte auf die Rüstung und die Waffe in ihren Händen. Dann deutete sie eine Verbeugung an und sprach mit gespielt theatralischer Stimme: »Es ist mir eine Ehre, in deine Dienste treten zu dürfen und ich danke dir für die großzügigen Gaben.« Etwas lockerer fügte sie hinzu: »Nach der kurzen Zeit, in der bekannt ist, dass ich deine Rekrutin werden soll, bin ich erstaunt, welche Umstände du dir bezüglich meiner Unterkunft und Ausrüstung gemacht hast.«
»Glaube nicht, nur weil du meine Schwester bist, würde ich dich bevorzugt behandeln!« Atharis’ Grinsen strafte seine strengen Worte Lügen. »Ich behandle nämlich alle meine Leute bevorzugt.« Er bemühte sich um eine eindrucksvolle Pause des Schweigens. Doch schon im nächsten Augenblick brachen beide in ausgelassenes Gelächter aus.
»Obwohl es mich betrübt, Meister Makantheo nur noch selten zu sehen, bin ich doch genauso glücklich, wieder mit dir zusammen zu sein.« Linara trat auf Atharis zu und legte ihm die Arme um den Hals. »Ich muss zugeben, dass mir erst jetzt bewusst ist, wie schrecklich langweilig es geworden war, nachdem du unser Zuhause verlassen hattest, und wie sehr ich dich vermisst hatte, großer Bruder.«
»Ich freue mich ebenfalls! Doch bitte nenne mich in der Öffentlichkeit nicht so. Die Leute reagieren immer mit misstrauischen Blicken oder lästigen Fragen, wenn sie erfahren, dass meine Schwester eine Elfe ist.«
Linara nickte stumm und wollte sich abwenden. Doch Atharis ergriff sie bei der Taille, hob sie einige Zentimeter vom Boden hoch, bis sich ihr Gesicht auf der Höhe des seinen befand, und erklärte vergnügt: »Aber wir sind hier nicht in der Öffentlichkeit!« Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und setzte sie behutsam wieder ab.
»Komm, es wird Zeit, dass du den Rest der Rasselbande kennenlernst!«
Als sie die Scheune verließen, zeigte Atharis auf eine Tür zu ihrer Linken. »Dort werden die Sättel für die Drachen aufbewahrt. Ich habe bereits einen für Mondkristall in Auftrag gegeben. Doch bis jetzt hat sich noch niemand nahe genug an das launische Vieh herangewagt, um Maß zu nehmen. Ich glaube, diesbezüglich wird deine Hilfe von Nöten sein.« Aus dem Augenwinkel sah er, wie Linara den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, und hob abwehrend die Hand. »Komm mir jetzt nicht mit der Elfen-Brauchen-Keinen-Sattel-Nummer! Nach dem ersten Sturzflug wirst du dankbar dafür sein.«
Linara schloss den Mund wieder, ohne einen Laut von sich zu geben, und ging weiter.
In Atharis’ Arbeitszimmer herrschte bereits geschäftiges Treiben. Die Drachenreiter, wie sie sich selbst nannten – die Bezeichnung Unabhängige berittene Kampftruppe zur Unterstützung der Stadtwache, wie sie Kartiana in ihren Aufzeichnungen verwendete, um sie vor den Bürgervertretern als legale und notwendige Ausgabe
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