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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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den Doppellinden hindurch und trat durch den Haupteingang. Die Zentralgarderobe lag leer und verlassen da, abgesehen von ein paar Mädchen, die Richtung Chemietrakt eilten. Ich zögerte einen Moment, dann beschloss ich, direkt in den Unterrichtsraum zu gehen statt zuerst ins Lehrerzimmer, wie ich es sonst immer tue.
    Tat.
    Ich heiße also Jakob Daniel Marr. Das möchte ich unterstreichen. Um fünf Minuten nach halb neun gehe ich an diesem Donnerstagmorgen im November die Treppen in dem Gymnasium hinauf, in dem ich seit neunzehn Jahren arbeite. Gehe die Treppe hoch, biege nach links auf den leeren Flur ein. Komme an den halb transparenten Glastüren vorbei und trete in die Domäne des Geschichtsbereichs ein. Gehe an der beschmierten Büste von Heinrich Kottke vorbei. Stelle etwas verwundert fest, dass kein Schüler vor dem Saal XII steht.
    Sind sie doch zum Sekretariat gegangen?, denke ich. Verdammt noch mal!
    Ich erreiche die Tür. Ziehe die Schlüssel aus der Jackentasche und will gerade aufschließen, als ich höre, dass schon jemand drinnen ist.
    Ich stecke die Schlüssel wieder ein, öffne die Tür und will den Raum betreten.
    Da sehe ich, dass ich schon am Lehrerpult stehe.
    Ja, ich sehe mich selbst mit dem rechten Ellbogen auf die Buchstütze an der Ecke gelehnt stehen, wie ich es meistens zu Beginn des Unterrichts tue, bevor die Arbeit so richtig los geht. Keiner hat bemerkt, dass die Tür sich geöffnet hat, ich schiebe sie vorsichtig wieder zu. Ich eile die Treppen hinunter. In der Haupthalle sitzt einer unserer indonesischen Putzmänner, er ist tief in ein Taschenbuch versunken und hebt nicht den Blick.
    Ich komme auf den Hof. Eile zum Auto. Kriege die Tür auf, werfe die Aktentasche hinein und setze mich hinters Steuer.
    Ich zünde eine Zigarette an. Normalerweise rauche ich nicht im Auto, aber in diesem Moment ist es mir vollkommen gleich. Meine Hände zittern, und es dauert eine Weile, bevor es mir gelingt, den Schlüssel umzudrehen und zu starten.

    2

    Auf der Autobahn

    Ich weiß nicht, ob Sie das als eine normale Reaktion ansehen würden, aber mein spontaner Entschluss war, geradewegs nach Norden zu fahren.
    Schnell und problemlos kam ich durch Deijkstraa und Bossingen, die Ortsteile auf der anderen Flussseite, und nach zehn Minuten war ich auf der Autobahn. Der Verkehr war in diesen Morgenstunden nicht sehr dicht, der Himmel hoch und blass, wie er manchmal im November ist, zumindest in unserem Landstrich. Leichte Wolkenbäuschchen, vermutlich die Reste von etwas Größerem, segelten sorglos um die vollkommen weiße Sonne, die mir kalt und unendlich weit entfernt zu sein schien.
    Das Wetter war also schön und die Verkehrsdichte nur gering. Ich konnte angenehm die Geschwindigkeit halten und spürte zweifellos eine gewisse Dankbarkeit diesbezüglich. Seit langem war mir schon klar, dass eine einigermaßen schnelle Bewegung durch den Raum oft stimulierend auf das Denken wirkt. Der Kopf wird klarer, wenn man Auto fährt, um es mal einfach auszudrücken. Zumindest wenn man mit einer mäßig schnellen Geschwindigkeit fährt.
    Und zumindest anfangs.
     
    Als ich schließlich wagte, mich dem, was geschehen war, zu nähern – dass es nur richtig für mich war, es zunächst auf Abstand zu halten, ich denke, das werden Sie sicher verstehen –, gelang es mir dennoch nicht, eine gewisse Ordnung in das Geschehen zu bringen.
    Was war mir zugestoßen – ich hatte mich an einem anderen Ort befunden als an dem, an dem ich doch faktisch war? Durch die halb geöffnete Tür von Saal XII hatte ich mich selbst in dem Raum betrachten können.
    Ich hoffe, Sie verstehen, welch starkes Erlebnis das bedeutet, auch wenn die meisten von Ihnen niemals etwas Ähnliches erleben werden. Vielleicht muss ich auch von Anfang an betonen, dass es sich in keiner Weise um einen Irrtum handelte, um eine Verwechslung oder irgendeine Art von Halluzination von meiner Seite. Meine psychische Gesundheit war zwar nicht immer die allerbeste – ich habe ein paar kürzere Aufenthalte in einer Institution hinter mir –, aber in diesem Fall war ich, und da bin ich mir nach wie vor hundertprozentig sicher, im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte.
    Ich war es, der da am Pult gestanden hatte, und ich war es, der in der Tür stand.
    Die Sache kann ganz einfach nicht bestritten werden.
     
    Trotzdem war es wohl ungefähr das, was ich während der ersten zehn Minuten der ersten Stunde dort draußen auf der Autobahn tat.
    Es zu bestreiten, meine

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