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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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offenbar eine kleine Hütte von seinem Vater, dem nicht ganz unbekannten Kriegshistoriker Pieter Hoorne, geerbt hatte.
    Ich erklärte, dass ich mich auf so eine Verabredung freuen würde, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, die Dinge könnten in ein paar Wochen so eine Wendung nehmen, dass aus der Sache nichts werden könnte.
     
    Am Tag nach meinem Treffen mit Janis Hoorne verbrachte ich eine Stunde damit, die Zug- und Busverbindungen nach Behrensee zu studieren, dem Ort, der Reins Haus am nächsten lag. Danach gab ich auf. Wenn ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen wollte, würde das mehrmaliges lästiges Umsteigen und außerdem einen vier Kilometer langen Spaziergang entlang der Küste bedeuten. Also beschloss ich, stattdessen lieber für einen Tag ein Auto zu nehmen.
    Kurz vor Ladenschluss mietete ich bei Hertz in der Burgisgracht für den ganzen Mittwoch einen kleinen Renault, und als ich den Laden wieder verließ, stieß ich erneut auf meinen Bewacher.
    Er stand auf der anderen Seite des schmalen Kanals und versuchte so zu tun, als betrachte er etwas unten in dem schwarzen, unbeweglichen Wasser. Er hatte seinen langen Mantel gegen eine Lederjacke mit Fellkragen getauscht und trug eine gestrickte dunkle Mütze auf dem Kopf, aber ich wusste sofort, dass er es war. Das gleiche lange Pferdegesicht, die gleichen hochgezogenen Schultern und die gleiche schlechte Haltung. Die gleiche Brille.
    Einen kurzen Moment lang war ich unschlüssig, was ich tun sollte, und vielleicht reichte das, um ihm klar zu machen, dass ich ihn bemerkt hatte. Ich ging langsam Richtung Zentrum, und er folgte mir tatsächlich, aber irgendwo in der Kalverstraat bog er in eine Gasse ab und verschwand.
    Obwohl ich eine Weile herumlief, konnte ich ihn nicht wieder entdecken, und schließlich gab ich auf und nahm die Straßenbahn heim zu Ferdinand Bol. Während ich an den Haltegriffen schaukelte, schwor ich mir, ihn das nächste Mal nicht entkommen zu lassen, aber ob es nun das Beste wäre, ihm einfach gegenüberzutreten oder zu versuchen, die Rollen zu tauschen, darüber war ich mir nicht im Klaren.
    Es fiel mir überhaupt schwer zu begreifen, was da an diesen ersten Tagen im März eigentlich vor sich ging. Das Wetter war plötzlich in die reinsten Frühlingstemperaturen umgeschlagen, und irgendwie hatte ich das Gefühl, als bedeute es gleichzeitig eine Veränderung in ganz anderer Beziehung. In dem Spiel, das da um mich herum vor sich ging (ich weiß, dass ich es als ein genau solches sah), schien meine eigene Position die ganze Zeit zwischen verschiedenen Punkten und Spielsteinen hin- und herzulavieren, und wenn es überhaupt ein Gefühl gab, das sich während dieser Zeit festbiss, dann war es das, manipuliert zu werden. Die Illusion, dass meine Beschlüsse und Handlungen wirklich von einer Art eigenem, freiem Willen gelenkt wurden, war zweifellos nur schwer aufrecht zu halten, und ich erinnere mich, dass ich mehr als einmal zu dem Schluss kam, dass genau das im Zentrum aller Fragen stand.
    Eine Illusion.
     
    »Aber begreifst du denn nicht, dass das ein Irrtum ist?«, fragte ich.
    »Das ist kein Irrtum«, sagte Ewa, ohne mich auch nur anzusehen.
    Weiter kamen wir nicht, während wir im Restaurant von Gasthof Nummer zwei saßen. Wir aßen stattdessen schweigend, und ich spürte, dass die Sprache und die Worte plötzlich bleischwer geworden waren und dass keiner von uns in der Lage wäre, sie aus dem tiefen Sumpf herauszuziehen, in dem wir gelandet waren. Genau wie vor einem drohenden Krieg befanden wir uns nahe dem Punkt, an dem alle Verhandlungen scheitern und nur noch die nackte Tat übrig bleibt.
    Anschließend machten wir einen ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt. Saßen dann lange unter einer der Kastanien vor dem wegen der Sommerferien geschlossenen Schulgebäude und betrachteten die schwarz gekleideten, älteren Herren, die ein Stück weiter das Flussufer hinunter Boule spielten.
    »Ich hatte schließlich auch schon andere Frauen«, sagte ich.
    Ewa sagte nichts. Ein Eichhörnchen sprang von der Kastanie herunter, verharrte einen Moment vor unseren Füßen und sah uns an, bevor es weiterhüpfte. Ich weiß nicht, warum ich mich an dieses kleine Tier erinnere und an die Sekunde, als es ganz still hielt und uns aus nur einem Meter Entfernung ansah, aber ich tat es, und ich weiß, dass ich es nie werde vergessen können. Vielleicht hat es etwas mit den Augen des Tieres zu tun und mit der unausgesprochenen Frage, die es immer

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