Barins Dreieck
Zufriedenheit konnte ich alle derartigen Möglichkeiten ausschließen.
Als Längstes gelang es mir, die Straße gut einen Kilometer hinunter zu gelangen, aber das setzte auch allerhöchste Bereitschaft und den ersten Gang von Anfang an voraus. Die vier ersten Kurven zu meistern war nicht unmöglich. Ich kam zu dem Schluss, dass sogar ein Fahrer unter Schock sie würde meistern können, und es war auch gar nicht die Frage, ob irgendwelche Haarnadelkurven mit ein wenig Glück einen relativ sanften Stopp an der Bergwand ermöglichen könnten. Was danach folgte, war umso schlimmer – eine bis zu hundert Meter lange, sich kräftig neigende gerade Strecke mit einer senkrechten Bergwand zur rechten Seite und einem ebenso senkrechten Abgrund zur linken. Wie ich es auch anstellte, es war unmöglich, die Geschwindigkeit vor der Rechtskurve, die am Ende der geraden Strecke folgte, ausreichend zu drosseln, ohne die Bremsen zu benutzen. Als ich sie trat, wurde der Wagen unhaltbar nach links gezogen, an eine streckenweise zerbröckelte, ungefähr dreißig Zentimeter hohe Steinmauer, den einzigen Schutz hier, und ich zog schließlich die Schlussfolgerung daraus, dass es hier, ganz genau hier, geschehen würde.
Es ging hier wie gesagt fast senkrecht nach unten, und zwar ungefähr fünfzig Meter tief. Am Abgrund folgten eine leichte Neigung, spitze Klippen und Felsbrocken, aber keine Vegetation – und anschließend das Beste von allem: die bewegungslose, matte Oberfläche des Lauernstausees.
Insgesamt eine Fallhöhe von vielleicht hundert Metern. Der eine oder andere Stoß gegen die Bergseite, und dann platsch hinein in eine Milliarde Kubikmeter grünen Schmelzwassers.
Nein, es war absolut kein Problem, sich das vorzustellen.
Ich aß in Wörmlingen, dem ersten Ort in dem Tal unterhalb des Staudamms. Schrieb ein paar Postkarten an Freunde und Bekannte und erzählte ihnen, wie herrlich wir es in unseren Ferien hatten. L und S gegenüber verriet ich außerdem, dass sowohl Ewa als auch ich diese Reise wie eine Art zweiten Honeymoon empfanden und dass es wahrlich kein Problem war, verborgene Liebesnester in der Bergwelt zu finden.
Als ich zum letzten Mal über den Pass fuhr, hatte ich bereits damit begonnen, über die technischen Aspekte des Unternehmens nachzudenken, mit Maschinen und Autos hatte ich immer schon gut umgehen können, und ich wusste, dass es mir kaum größere Mühe bereiten würde. Das einzige, was vielleicht ein wenig Köpfchen und Planung erforderte, war die Frage, wo ich es machen konnte. Trotz allem brauchte ich ein paar Stunden Zeit, um ungestört arbeiten zu können, aber ich war überzeugt davon, dass auch dieses Detail geklärt werden würde.
Am Nachmittag des folgenden Tags erzählte Ewa mir, dass sie am kommenden Tag gern den Wagen wieder hätte, und zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch dieses noch ausstehende kleine Problem bereits gelöst.
»Ja, mach das«, antwortete ich, ohne von dem Buch aufzusehen, in dem ich gerade blätterte. »Nimm ihn. Ich habe heute Morgen getankt, du kannst so losfahren.«
Ich erinnere mich auch noch, dass sie zu mir kam und mir für eine Sekunde die Hand auf die Schulter legte, doch das war ein flüchtiges vorübergehendes Phänomen, und mein Blick blieb weiter gesenkt.
I ch hatte offenbar ziemlich schlecht geschlafen in der Nacht, bevor ich zu Reins Haus hinausfuhr, denn obwohl es nur gut hundert Kilometer waren, war ich gezwungen, ungefähr auf halbem Weg anzuhalten und schwarzen Kaffee zu trinken.
Um mich wach zu halten.
Ansonsten waren es der gleiche hohe Himmel und die gleichen frühlingshaften Winde wie während der letzten Tage, sicher bis zu fünfzehn Grad, und man konnte spüren, wie die Erde unter den Füßen anschwoll. Das Wetter hatte zweifellos auch einen günstigen Einfluss auf meinen Gemütszustand und meine Tatkraft. Der Beschluss, hinauszufahren und nach den kompromittierenden Briefen zu graben, war nicht so einfach zu fassen gewesen, und ich brauchte jede Unterstützung, die es nur gab. Sicher suchte ich auch – bewusst oder unbewusst – nach allen möglichen Zeichen, die auch nur andeutungsweise positiv gedeutet werden konnten und besagten, dass ich auf dem rechten Weg war. Der Suche danach hatte ich mich eigentlich bereits während meines ganzen Aufenthalts in A. gewidmet – nur dass es an diesem Tag so ungewöhnlich greifbar erschien. Eine wärmende Sonne. Weiße und gelbe Blumen, die aus den Gräben ragten. Ein entgegenkommendes
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