Barins Dreieck
die hoch gelegenen Fenster im Rang fiel die Sonne herein und tauchte ihr Schlüsselbein in marmorweißes Licht. Ich dachte wieder an ihre Nacktheit.
»Es steht im Manuskript, dass sie ihn ermorden wollten«, erklärte ich.
Die Antwort löste einige Unruhe auf dem Rang aus, und der Richter schlug ein paar Mal mit seinem großen Hammer auf den Tisch.
»Erklären Sie«, wiederholte der Staatsanwalt.
Ich erzählte von den Kursivierungen und davon, was Rein über die Briefe und die Sonnenuhr draußen im Kirschgartenhof geschrieben hatte. Sofort kam wieder Leben unter die Zuhörer, und der Richter schlug erneut mit dem Hammer.
»Können Sie mir erzählen, was Sie taten, als Sie diese Dinge entdeckten?«
Ich spürte langsam eine leichte Übelkeit. Es war heiß im Saal, und ein Duft nach teurem Rasierwasser hing in der Luft. Ich glaube, er stammte von Otto Gerlach. Ja, so in der Retrospektive weiß ich genau, dass er es gewesen sein muss.
»Ich habe das nachgeprüft.«
»Und wie?«
»Ich bin nach Behrensee gefahren und habe untersucht, ob es sich wirklich so verhält, wie geschrieben stand.«
»Sie haben also nach den Briefen gesucht?«
»Ja.«
»Und haben Sie sie an dem Platz gefunden, den er angegeben hatte?«
»Ja.«
»Haben Sie sie gelesen?«
»Später.«
»Und welchen Schluss haben Sie daraus gezogen?«
Es wurde wieder protestiert, diesmal von Mariam Kadhars Verteidiger. Der Richter lehnte erneut ab. Ich trank ein wenig Wasser. Es hatte ungefähr die gleiche Temperatur wie der Rest des Saals, und meine Übelkeit wurde nicht besser.
»Welchen Schluss haben Sie daraus gezogen?«, wiederholte der Staatsanwalt.
»Welchen Schluss hätten Sie daraus gezogen?«, konterte ich.
Der Richter griff ein und erklärte, dass es meine Aufgabe sei, Fragen zu beantworten, nicht, welche zu stellen. Ich nickte und trank noch einen Schluck.
»Ich zog den Schluss, dass Otto Gerlach und Mariam Kadhar Rein getötet haben.«
Der Damm brach, aber der Richter unternahm keinen Versuch, die Ruhe wieder herzustellen. Der Staatsanwalt dankte mir und setzte sich wieder hinter seinen Tisch.
Langsam verebbte das Gemurmel, der Richter erteilte Mariam Kadhars Anwalt das Wort, worauf dieser seinen Anzug zuknöpfte und sich in der gleichen einstudierten Art meiner Bank näherte, wie der Staatsanwalt es getan hatte. Er hatte zwar nicht das gleiche Profil, nahm aber im Großen und Ganzen die gleiche Position ein und wartete, bis das letzte Flüstern verklungen war, bevor er das Wort ergriff.
»Welcher Verlag hat Ihnen den Auftrag gegeben, Reins Manuskript zu übersetzen?«
Ich nannte ihn.
»Wissen Sie, wann das Buch herauskommt?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Jetzt in diesen Tagen, nehme ich an.«
»Laut meinen Informationen heute«, präzisierte er.
»Das ist möglich.«
»Wie groß ist die Auflage?«
»Keine Ahnung.«
Er zog ein Blatt Papier aus der Innentasche. Faltete es umständlich auf und betrachtete es mit einer Miene gespielter Überraschung.
»Fünfzigtausend«, sagte er.
Ich sagte nichts. Er nahm seine Brille ab und ließ sie hin und her schaukeln, indem er sie an einem Bügel festhielt.
»Haben Sie dazu etwas zu sagen?«
»Nein.«
»Ist das nicht eine sehr große Auflage? Wenn man an das Sprachgebiet denkt.«
Ich zuckte erneut mit den Schultern.
»Schon möglich. Aber Rein war ein großer Schriftsteller.«
»Daran besteht kein Zweifel.« Er studierte erneut seinen Zettel. »Ich habe hier die Verkaufszahlen seiner letzten beiden Bücher in Ihrem Land ... wissen Sie, um welche Zahl es sich da handelt?«
»Nein.«
»Zwölftausend. Für beide Titel, wie gesagt ... was sagen Sie dazu?«
Ich sagte gar nichts.
Er setzte sich die Brille leise lächelnd wieder auf.
»Sagen Sie mir, ist die Veröffentlichung nicht ein ziemlich gutes Geschäft für Ihren Verlag?«
»Kann schon sein.«
Er machte eine kleine Pause, drehte mir so lange den Rücken zu.
»Verhält es sich nicht so ...«, setzte er erneut an. »Ist es nicht so, dass diese ganze Geschichte eine reine Spekulation ist, um Geld mit einem außergewöhnlich einfach zu verkaufenden Bestseller zu verdienen?«
Ich trank ein wenig Wasser.
»Quatsch«, sagte ich.
»Wie bitte?«
»Quatsch!«, wiederholte ich mit lauter Stimme.
»Darf ich den Zeugen darum bitten, seine Sprache ein wenig zu zügeln«, warf der Richter ein.
Dazu hatte ich nichts zu sagen. Mariam Kadhars Verteidiger setzte sich. Der Gerlachs stand dafür auf und kam zu mir.
»Wer
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