Barrayar
Vortala, Graf Piotr, die Prinzessin und Prinz Gregor, verschiedenen Ministern und einigen Männern vom Generalstab. Sie hielten eine stille, stehende Totenwache, fast eine Stunde lang, und dann kam über die reglose, verfallene Gestalt auf dem Bett fast unmerkbar eine tiefere Stille. Cordelia dachte, welch schauerliche Szene dies für den Jungen sein musste, aber seine Anwesenheit schien aus zeremoniellen Gründen notwendig. Sehr leise wandten sie sich um, Vorkosigan zuerst, knieten vor Gregor nieder, legten ihre Hände in die seinen und erneuerten ihre Treueeide.
Auch Cordelia wurde von Vorkosigan angeleitet, vor dem Jungen niederzuknien. Der Prinz – jetzt Kaiser – hatte das Haar seiner Mutter, aber haselnussbraune Augen wie Ezar und Serg, und Cordelia ertappte sich bei der Überlegung, wie viel von seinem Vater oder seinem Großvater in ihm verborgen war, dessen Ausdruck nur auf die Macht wartete, die mit dem entsprechenden Alter kommen würde. Trägst du einen Fluch in deinen Chromosomen, Kind? ging es ihr durch den Kopf, als ihre Hände in die seinen gelegt wurden. Ob Fluch oder Segen, dennoch leistete sie ihm ihren Eid. Die Worte schienen ihre letzte Bindung an Kolonie Beta zu durchschneiden, sie löste sich mit einem Ping!, das nur für Cordelia hörbar war. Jetzt bin ich eine Barrayaranerin. Es war eine lange, sonderbare Reise gewesen, die begonnen hatte mit dem Anblick eines Paars Stiefel im Schlamm und die jetzt endete in diesen unbefleckten Kinderhänden.
Weißt du, Junge, dass ich half, deinen Vater zu töten? Wirst du das je erfahren?
Sie fragte sich, ob es Rücksichtnahme oder Versehen gewesen war, dass man nie von ihr verlangt hatte, Ezar Vorbarra den Eid zu leisten.
Von allen Anwesenden weinte nur Oberst Negri. Cordelia nahm dies nur wahr, weil sie direkt neben ihm stand, im dunkelsten Winkel des Raums, und sah, wie er zweimal sein Gesicht mit dem Rücken seiner Hand abwischte. Für einen Augenblick war sein Gesicht von Rot überzogen und tiefer gefurcht, als er vortrat, um seinen Eid zu leisten, zeigten seine Züge wieder ihre normale ausdruckslose Härte.
Die fünf Tage der Trauerzeremonien, die dann folgten, waren aufreibend für Cordelia, aber – zu dieser Einsicht kam sie – nicht so aufreibend, wie die Feierlichkeiten für Kronprinz Serg, die zwei Wochen lang gedauert hatten, obwohl ein Leichnam als Mittelpunkt gefehlt hatte. Für die öffentliche Meinung war Prinz Serg den Tod eines heldenhaften Soldaten gestorben. Nach Cordelias Zählung kannten nur fünf Menschen die ganze Wahrheit über jenes raffinierte Attentat. Nein, nur vier, nun, da Ezar nicht mehr lebte. Vielleicht war das Grab der beste Verwahrungsort für Ezars Geheimnisse. Nun, die Qual des alten Mannes war vorüber, seine Zeit vorbei, seine Ära am Vergehen.
Es gab keine eigentliche Krönung für den Knabenkaiser, statt dessen einige Tage, die überraschend geschäftsmäßig, wenn auch in eleganter Kleidung, wieder in den Kammern der Räte verbracht wurden, mit der Eidesleistung von Ministern, Grafen, einer Schar ihrer Angehörigen und allen anderen, die ihren Schwur nicht schon in Ezars Sterbezimmer getan hatten. Auch Vorkosigan wurden Eide geleistet, und je mehr es waren, um so schwerer schien die Last auf seinen Schultern zu werden, als ob jeder einzelne von ihnen ein messbares Gewicht hätte.
Der Junge hielt sich gut, unter engem Beistand seiner Mutter. Kareen trug dafür Sorge, dass Gregors stundenweise Ruhepausen von den geschäftigen, ungeduldigen Männern respektiert wurden, die sich in der Hauptstadt versammelt hatten, um ihrer Verpflichtung nachzukommen. Die Merkwürdigkeit des barrayaranischen Regierungssystems mit all seinen ungeschriebenen Bräuchen drängte sich Cordelia nicht beim ersten Blick auf, sondern nach und nach. Und doch schien es irgendwie für die Leute hier zu funktionieren. Sie machten, dass es funktionierte. Durch ›so-tun-als-ob‹ eine Regierung hervorbringen. Vielleicht sind alle Regierungsformen im Kern solche Fiktionen durch Konsens.
Nachdem die Flut der Zeremonien verebbt war, begann Cordelia endlich, ihre häusliche Routine im Palais Vorkosigan einzurichten. Allerdings gab es da nicht viel zu tun. An den meisten Tagen verließ Vorkosigan bei Morgengrauen das Haus, mit Koudelka im Schlepptau, und kehrte erst nach Einbruch der Dunkelheit zurück, nahm einen kalten Abendimbiss zu sich und schloss sich bis zur Bettzeit in der Bibliothek ein oder empfing dort irgendwelche Leute.
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