Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
sie vielleicht hierher.«
»Ist das auch bestimmt kein falscher Stolz? Nach dem Motto: Von dem fiesen Dämon nehme ich nichts an? Bei dieser Kälte kann einem leicht was abbrechen. Hab ich selber schon gesehen.« 92
(Das war wirklich ausgesprochen bel. Erinnere mich bei Gelegenheit daran, dass ich es dir erzhle. )
»L-lass mich in Ruhe.«
»Bitte sehr.« Ich zog mich wieder auf meinen Ast zurück. Etwas später, als es im Osten heller wurde, hörte ich ihn niesen, doch ansonsten schwieg er stur und verschanzte sich hinter seinem selbst gewählten Unbehagen.
Als der Morgen nahte, wurde meine Fledermaustarnung immer unglaubwürdiger, deshalb schlug ich mich in die Büsche und verwandelte mich in eine Feldmaus. Der Junge kauerte immer noch am selben Fleck, steif wie ein Brett und ziemlich feucht um die Nase. Ich huschte zu ihm hinüber.
»Wie wär’s mit einem Taschentuch, o Herr und Meister?«, fragte ich.
Mit sichtlicher Anstrengung hob er den Arm, wischte sich die Nase am Ärmel ab und schniefte: »Hat sich was verändert?«
»Unter deinem linken Nasenloch ist noch was. Sonst ist es okay.«
»Ich meine auf der Straße.«
»Ach so. Nein. Es ist noch zu früh. Wenn du noch was zu essen hast, solltest du jetzt lieber frühstücken. Wenn das erste Auto vorbeikommt, müssen wir fertig sein.«
Wie sich herausstellte, hätten wir uns nicht zu beeilen brauchen. Auf allen vier Straßen blieb es ruhig. Der Junge aß seine Reste auf, kauerte sich dann unter einem Busch ins feuchte Gras und behielt eine der Straßen im Auge. Offenbar hatte er sich eine leichte Erkältung eingefangen, denn trotz des Mantels zitterte er heftig. Ich huschte hin und her, hielt nach Gefahren Ausschau und kehrte schließlich zu ihm zurück.
»Denk dran«, sagte ich, »das Auto darf nur ganz kurz anhalten, sonst schöpfen die Wächter Verdacht. Sobald es an der Kreuzung ist, müssen wir aufspringen. Du musst dich beeilen.«
»Mach ich.«
»Ich meine richtig beeilen.«
»Mach ich, hab ich gesagt.«
»Gut, gut. Manchmal ist ja eine Schnecke schneller als du. Und jetzt hast du es auch noch geschafft, krank zu werden, bloß weil du dir gestern Nacht nicht von mir helfen lassen wolltest.«
»Ich bin nicht krank.«
»Ich kann dich nicht verstehen, deine Zähne klappern so laut.«
»Mir geht’s gut. Und jetzt lass mich in Ruhe.«
»Wenn wir im Haus sind, kann uns deine Erkältung den Kopf kosten. Lovelace braucht nur zu horchen, wo das Niesen her… Hörst du das?«
»Was?«
»Ein Auto! Hinter uns. Hervorragend. Dann muss es hier langsamer fahren. Du wartest, bis ich dich rufe.«
Ich schlüpfte durch das hohe Gras um das Gebüsch herum und duckte mich auf der steilen Straßenböschung hinter einen großen Stein. Das Motorengeräusch schwoll an. Ich suchte den Himmel ab, sah aber keine Wächter, und wegen der Bäume konnte man dieses Stück Straße vom Haus aus nicht sehen. Ich setzte zum Sprung an…
Und blieb hinter meinem Stein hocken. Lieber nicht. Es war die schwarz glänzende Limousine eines Zauberers. Zu riskant. Der Wagen brauste mit quietschenden Bremsen und blitzender Kühlerhaube in einer Wolke aus Staub und Steinchen davon. Ich erhaschte einen Blick auf den Insassen, einen mir unbekannten Mann mit dicken Lippen, teigigem Gesicht und strähnigem, zurückgekämmtem Haar. Ich sah weder einen Kobold noch einen anderen Leibwächter, doch das hatte nichts zu bedeuten. Einen Zauberer aus dem Hinterhalt zu überfallen, hat einfach keinen Zweck.
Ich trippelte zu dem Jungen zurück, der immer noch bewegungslos unter dem Busch saß. »Keine Chance«, sagte ich. »Ein Zauberer.«
»Ich hab auch Augen im Kopf.« Er zog ungeniert die Nase hoch. »Außerdem kenn ich den Typen. Das war Lime, einer von Lovelace’ Freunden. Keine Ahnung, wieso der eingeladen ist, er ist nämlich nicht besonders begabt. Ich hab mal ein paar Stechlinge auf ihn gehetzt, da ist er angeschwollen wie ein Luftballon.«
»Ehrlich?« Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt war. »Und was ist dann passiert?«
Er zuckte die Achseln. »Man hat mich verprügelt. Kommt da wieder jemand?«
Ein Fahrrad bog um die Kurve. Darauf saß ein kleiner dicker Mann, der seine Beine wie Propeller rotieren ließ. Über dem Vorderrad thronte ein riesiger, mit einem beschwerten weißen Tuch zugedeckter Korb.
»Der Fleischer«, sagte ich.
Der Junge zuckte die Achseln. »Kann sein. Sollen wir ihn uns schnappen?«
»Passt du in seine Kleider?«
»Nein.«
»Dann lassen wir ihn
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