Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
dem Hinterleib. Er sah mich sofort, wurde noch bleicher und biss sich auf die Unterlippe. Aber wenn er sich nicht verraten wollte, konnte er nichts unternehmen.
Mitten in meinem Tänzchen grunzte Underwood plötzlich ungehalten und schlug mit dem Handrücken auf die Zeitung. »Hör dir das an, Martha«, sagte er. »Makepeace bringt schon wieder seinen fernöstlichen Quatsch auf die Bühne. Die Schwäne von Arabien… Hast du schon mal so einen sentimentalen Schwachsinn gehört? Trotzdem ist der Laden bis Ende Januar total ausverkauft! Das ist doch absurd.«
»Ausverkauft? Ach, Arthur, und ich wollte doch so gern…«
»Ich zitiere: ›…worin sich ein kurvenreiches Missionarsmädel aus Chiswick in einen bernsteinfarbenen Dschinn verliebt…‹– das ist nicht nur romantischer Blödsinn, das ist regelrecht schädlich. So was verwirrt das Volk.«
»Ach, Arthur…«
»Du hast doch schon Dschinn gesehen, Martha. War darunter etwa einer mit ›dunklem, verschleiertem Blick, bei dem einem das Herz schmilzt‹? Das Einzige, was einem dabei schmilzt, ist vielleicht das Gesicht.«
»Du hast bestimmt Recht, Arthur.«
»Makepeace sollte es wirklich besser wissen. Es ist eine Schande. Ich würde ja etwas dagegen unternehmen, aber er ist ein Busenfreund vom PM.«
»Das kann ich verstehen, mein Lieber. Möchtest du vielleicht noch etwas Kaffee?«
»Nein. Der PM sollte sich lieber um meine Abteilung für Innere Angelegenheiten kümmern, statt sich als Gesellschaftslöwe zu gebärden.
Schon wieder vier Diebstähle, Martha, vier in einer einzigen Woche! Und zwar wertvolle Gegenstände. Ich sag’s ja, wir gehen noch alle vor die Hunde.« Mit diesen Worten lupfte Underwood seinen Schnurrbart, schob die Kaffeetasse geschickt darunter durch und nahm geräuschvoll einen großen Schluck. »Der ist ja kalt, Martha, bringst du mir frischen?«
Bereitwillig eilte seine Frau davon, um das Gewünschte zu holen. Kaum war sie draußen, legte der Zauberer die Zeitung weg und geruhte endlich, seinen Schüler zur Kenntnis zu nehmen.
»Ah – da bist du ja«, brummte der Alte.
»Ja, Sir, Sie haben mich rufen lassen, Sir.« Obwohl der Junge so beunruhigt war, bebte seine Stimme nicht.
»Allerdings, allerdings. Also, ich habe mich mit deinen Lehrern unterhalten, und, von Mr Sindra mal abgesehen, haben mir alle nur Erfreuliches über dich berichtet.« Er hob die Hand, um die prompten Dankesbezeugungen des Jungen zu unterdrücken. »Nach dem, was du letztes Jahr angestellt hast, hast du das wahrhaftig nicht verdient. Wie auch immer, trotz gewisser Unzulänglichkeiten, auf die ich dich wiederholt hingewiesen habe, hast du in den grundlegenden Dingen einige Fortschritte gemacht. Deshalb«– Spannungspause –»bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es allmählich Zeit für deine erste eigene Beschwörung wird.«
Letzteres sprach er mit gedehnter, tragender Stimme, die dem Jungen offenbar ehrfürchtige Scheu einflößen sollte. Aber Nathanael, wie ich ihn inzwischen freundschaftlich nannte, war nicht bei der Sache. Er konnte nur noch an eine gewisse Spinne denken.
Seine Zerstreutheit entging Underwood nicht, und er pochte nachdrücklich auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit seines Lehrlings auf sich zu ziehen.
»Nun hör mir mal zu, Junge!«, sagte er. »Wenn du schon bei der Aussicht auf eine Beschwörung die Nerven verlierst, wird aus dir nie ein richtiger Zauberer, schulische Fortschritte hin oder her. Ein gut vorbereiteter Zauberer braucht sich vor nichts zu fürchten. Hast du mich verstanden?«
Der Junge riss sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf seinen Meister. »Ja, Sir. Gewiss, Sir.«
»Abgesehen davon stehe ich während der gesamten Beschwörung in einem angrenzenden Kreis und halte ein Dutzend Schutzzauber und zerstoßenen Rosmarin bereit. Wir fangen mit einem niederen Dämon an, einem Krötenkobold. 31
(Krötenkobold: eine langweilige Kreatur, die das Aussehen und Verhalten einer stumpfsinnigen Krötenart annimmt.)
Wenn das geklappt hat, versuchen wir’s mit einem Mauler.« 32
(Mauler: womöglich noch langweiliger als ein Krötenkobold.)
Es sagte viel über die Menschenkenntnis des Zauberers aus, dass ihm das verächtliche Flackern in den Augen des Jungen entging. Er hörte nur die höfliche, beflissene Antwort.
»Ja, Sir. Ich freu mich schon darauf, Sir.«
»Sehr schön. Hast du inzwischen deine Linsen bekommen?«
»Ja, Sir. Letzte Woche.«
»Gut. Dann müssen wir uns nur noch über eines Gedanken
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