Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
Schüler haben könnte. Aus irgendeinem Grund verursachte ihm diese Erkenntnis ein flaues Gefühl im Magen.
    Vielleicht spürte Miss Lutyens das, denn nach einer kurzen Pause ergriff sie wieder das Wort, diesmal weniger unterkühlt. »Wie auch immer«, sagte sie, »ich freue mich immer sehr auf unsere Stunden. Sie gehören zu den Höhepunkten meiner Arbeitswoche. Ich bin gern mit dir zusammen, auch wenn du immer noch zur Ungeduld neigst, weil du schon alles zu wissen glaubst. Also mach wieder ein fröhliches Gesicht und zeig mir, wie du mit dem Baum vorangekommen bist.«
    Nach einer kurzen Erörterung künstlerischer Fragen verlief die Unterhaltung wieder in gewohnt friedlichen Bahnen, doch kurz darauf wurde die Zeichenstunde unerwartet unterbrochen, als Mrs Underwood auftauchte. Die Frau des Zauberers war in heller Aufregung.
    »Nathanael!«, rief sie. »Da bist du ja!«
    Miss Lutyens und Nathanael erhoben sich höflich. »Ich hab dich überall gesucht, mein Lieber«, sagte Mrs Underwood schwer atmend. »Ich dachte, ihr wärt im Schulzimmer…«
    »Tut mir Leid, Mrs Underwood«, setzte Miss Lutyens an. »Es ist so ein schöner Tag, und da…«
    »Ach, das macht doch nichts. Das ist schon in Ordnung. Aber mein Mann braucht Nathanael, und zwar ganz dringend. Er hat Besuch bekommen und möchte den Gästen den Jungen vorstellen.«
    »Da hörst du’s«, sagte Miss Lutyens leise, als sie eilig durch den Garten zum Haus zurückgingen. »Mr Underwood unterschätzt dich überhaupt nicht. Im Gegenteil, er muss sehr zufrieden mit dir sein, wenn er dich anderen Zauberern vorstellt. Er will mit dir Eindruck machen!«
    Nathanael lächelte gequält, sagte aber nichts. Bei dem Gedanken an ein Zusammentreffen mit anderen Zauberern wurde ihm mulmig. All die Jahre, die er nun schon in diesem Haus wohnte, hatte man ihm noch nie erlaubt, die Kollegen seines Meisters, die gelegentlich hereinschauten, kennen zu lernen. Jedes Mal hatte man ihn auf sein Zimmer geschickt oder mit seinen Lehrern nach oben verfrachtet, um ihn aus dem Weg zu schaffen. Das hier war eine neue, aufregende Entwicklung, wenn auch eine ziemlich beängstigende. Nathanael stellte sich einen Raum voller hoch gewachsener, mächtiger Männer mit Denkerstirnen und rauschenden Gewändern vor, die ihn über ihre struppigen Bärte hinweg anstarrten. Bei der bloßen Vorstellung bekam er ganz weiche Knie.
    »Sie sind im Salon«, sagte Mrs Underwood, als sie die Küche betraten. »Lass dich mal anschauen…« Sie leckte den Finger an und entfernte hastig einen Kohlestrich von Nathanaels Schläfe. »Einigermaßen präsentabel. Nun geh schon.«
    Das Zimmer war tatsächlich voll, so weit hatte er Recht gehabt. Die Körperwärme der vielen Leute, der Dampf aus den Teetassen und das Gemurmel bemühter Konversation schlugen Nathanael wie eine Welle entgegen. Doch als er die Tür hinter sich geschlossen hatte und quer durchs Zimmer auf den einzigen noch freien Platz im Schutz einer reich geschnitzten Anrichte zugesteuert war, hatten sich seine hochtrabenden Vorstellungen von einer Versammlung bedeutender Männer bereits verflüchtigt.
    Sie sahen einfach nicht so aus.
    Kein Einziger trug einen Umhang. Auch Bärte waren eher selten vertreten und die wenigen Exemplare waren nicht halb so eindrucksvoll wie der Bart seines Meisters. Die meisten Besucher trugen langweilige Anzüge und noch langweiligere Schlipse, nur wenige hatten gewagte Ergänzungen zu bieten, etwa eine graue Weste oder ein aus der Brusttasche hervorlugendes Ziertuch. Sämtliche Anwesenden trugen schwarze, glänzende Schuhe. Nathanael kam sich vor, als wäre er versehentlich auf der Betriebsfeier eines Beerdigungsunternehmens gelandet. Keiner der Besucher hatte auch nur entfernte Ähnlichkeit mit Gladstone, weder was die Ausstrahlung, noch was das Auftreten anging. Manche waren klein, andere alt und griesgrämig, und mehr als einer hatte einen bedenklichen Bauchansatz. Sie unterhielten sich mit ernsten Mienen, nippten an ihren Teetassen und knabberten krümelige Kekse. Keiner erhob die Stimme über das allgemeine gedämpfte Gebrabbel.
    Nathanael war schwer enttäuscht. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und atmete tief durch.
    Sein Meister schob sich durch das Gedränge, schüttelte rechts und links Hände und stieß ab und zu ein kurzes, bellendes Lachen aus, wenn einer der Gäste eine Bemerkung machte, die er für scherzhaft hielt. Als er Nathanael erblickte, winkte er ihn heran. Nathanael zwängte sich zwischen

Weitere Kostenlose Bücher