Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
ziemlich übermütig geworden. Mr Devereaux’ Feldzüge in Italien und Mitteleuropa waren erfolglos, und der Prager Stadtrat fängt schon wieder an, unser Weltreich auf Schwachstellen abzuklopfen. Sie piesacken uns wie Flöhe einen Hund. Aber was soll’s. Alles zu seiner Zeit…« Die Miene des Staatsbeamten drückte sowohl Strenge als auch Selbstzufriedenheit aus. Er wandte sich wieder der Karte zu. »Also, Mandrake«, sagte er munter, »jetzt brauchen Sie nur noch einen Kontaktmann in Prag. Jemanden, der Ihnen auf die Sprünge hilft.«
    Nathanael nickte. »Haben Sie jemanden dort sitzen, Sir?«
    »Allerdings. Einen unserer Topagenten… Er nennt sich ›Harlekin‹.«
    »Harlekin…« Vor seinem geistigen Auge sah Nathanael eine schlanke, maskierte Gestalt durch die Dämmerung tänzeln, umweht von einem Hauch von Karneval und Gefahr…
    »Ganz recht. Das ist sein Deckname. Den richtigen Namen kann ich Ihnen nicht nennen, womöglich kennt er ihn selber nicht. Falls Sie sich jetzt einen schlanken, maskierten, leichtfüßigen Jüngling in einem farbenfrohen Kostüm vorstellen, muss ich Sie leider enttäuschen. Unser Harlekin ist ein untersetzter, älterer und ziemlich trübsinniger Herr. Außerdem trägt er mit Vorliebe Schwarz.« Ein flüchtiger Ausdruck von Abscheu huschte über das Gesicht des Staatsbeamten. »So ergeht es vielen, die sich zu lange in Prag aufhalten. Es ist eine deprimierende Stadt. In den vergangenen Jahren haben sich dort etliche unserer Agenten umgebracht. Bis auf eine gewisse morbide Ader scheint sich Harlekin aber noch ganz gut zu halten.«
    Nathanael schob sich das Haar aus den Augen. »Damit komme ich schon klar, Sir. Wie mache ich ihn ausfindig?«
    »Heute Abend verlassen Sie um Mitternacht Ihr Hotel und begeben sich auf den alten Gettofriedhof, der ist übrigens hier, Mandrake… sehen Sie? Nicht weit vom alten Marktplatz. Sie tragen ein Barett mit einer blutroten Feder dran und schlendern zwischen den Grabsteinen umher. Harlekin wird auf Sie zukommen. Sie erkennen ihn daran, dass er eine ungewöhnliche Kerze hält.«
    »Eine ungewöhnliche Kerze.«
    »Genau.«
    »Wie jetzt? Ungewöhnlich lang oder ungewöhnlich krumm oder was?«
    »Darüber bin ich leider nicht informiert.«
    Nathanael verzog das Gesicht. »Entschuldigen Sie, aber das kommt mir alles ein bisschen… melodramatisch vor, finden Sie nicht? Friedhöfe und Kerzen und blutrote Federn… Kann er mich nicht einfach, wenn ich geduscht habe, im Hotel anrufen, und wir treffen uns unten im Restaurant?«
    Der andere lächelte matt. Dann schob er Nathanael das Päckchen hin, ging zu einem feudalen Ledersessel am anderen Ende der Tischreihe und ließ sich mit einem kleinen Seufzer hineinsinken. Er drehte den Sessel zur Fensterwand und betrachtete die niedrigen, regenschwangeren Wolken, die auf der Stadt lasteten. Weit hinten im Westen regnete es bereits, der Himmel war mit schlierigen Streifen überzogen, die in schrägem Winkel in die verschachtelten Straßenschluchten fielen. Der Staatsbeamte blickte eine Weile schweigend aus dem Fenster.
    »Sehen Sie sich unsere moderne Stadt an«, sagte er schließlich, »die nach den neuesten Erkenntnissen entworfen wurde. Nehmen Sie nur mal dort drüben die stolzen Bauten von Whitehall! Keiner davon ist älter als hundertundfünfzig Jahre! Natürlich haben auch wir noch etliche schmuddelige, unsanierte Viertel, das lässt sich nicht vermeiden, wenn so viele Gewöhnliche aufeinander hocken…, aber die Innenstadt von London, wo unsereins lebt und arbeitet, ist durch und durch fortschrittlich. Eine Stadt der Zukunft. Eine Stadt, die eines Weltreichs würdig ist. Die Wohnung Ihrer Miss Whitwell, Mandrake… ein herrliches Gebäude, ein Musterbeispiel für den neuesten Trend! Es sollte viel mehr von der Sorte geben. Mr Devereaux hat vor, nächstes Jahr den größten Teil von Covent Garden zu planieren und die ganzen Fachwerkhäuschen als prachtvolle Visionen aus Glas und Beton wieder auferstehen zu lassen…«
    Der Sessel schwenkte wieder zum Zimmer herum und der stellvertretende Minister wies auf die Karten. »Prag dagegen… Prag ist anders, Mandrake. Es ist in jeder Hinsicht ein ausgesprochen düsterer Ort, der mit übertriebener Nostalgie der Herrlichkeit früherer Zeiten nachtrauert und morbide an allem Gestorbenen und Vergangenen festhält: an Zauberern, Alchimisten, am ruhmvollen Tschechischen Kaiserreich. Tja, jeder Arzt sagt einem, dass so ein Zustand nicht eben gesund ist! Wäre Prag ein

Weitere Kostenlose Bücher