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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Nacht, bewacht von Reihen düsterer Eschen und Lärchen. Hier und da hingen gelbe Laternen in den Zweigen und verströmten ihr trauriges Licht. Auf den Kieswegen zwischen den Gräbern wandelten ein paar gebeugte, einsame Gestalten. Der Wind trug ihre Seufzer zum Fenster empor.
    Ich zog den Vorhang rasch wieder zu. »Na ja… nicht grade erhebend, da hast du Recht.«
    »Erhebend? Das ist der trübseligste Ort, den ich je gesehen habe!«
    »Tja, was hattest du denn erwartet? Du bist Engländer. Ist doch klar, dass sie dir ein mieses Zimmer mit Friedhofsblick geben.«
    Der Junge setzte sich an den wuchtigen Schreibtisch und nahm ein paar Papiere aus einem kleinen braunen Päckchen. »Gerade deshalb hätte ich das beste Zimmer kriegen müssen«, murmelte er geistesabwesend.
    »Spinnst du? Nach allem, was Gladstone Prag angetan hat? Das vergessen die euch nie.«
    Jetzt hob er den Kopf. »Das war im Krieg. Wir haben gewonnen, offen und ehrlich. Mit minimalen Verlusten an Zivilisten.«
    Ich war inzwischen Ptolemäus, stand mit verschränkten Armen vor dem geschlossenen Vorhang und schaute ihn meinerseits finster an. »Glaubst du das wirklich?«, fragte ich höhnisch. »Erzähl das mal den Leuten in den Vororten. Da gibt es immer noch Brachflächen, wo ganze Wohnblöcke niedergebrannt sind.«
    »Du musst es ja wissen!«
    »Logisch weiß ich das! Ich war schließlich dabei, schon vergessen? Und zwar auf der tschechischen Seite, möchte ich hinzufügen. Wogegen alles, was du darüber weißt, nach dem Krieg von Gladstones Propagandaministerium erstunken und erlogen wurde. Halt du mir bloß keine Vorträge, Kleiner!«
    Ganz kurz dachte ich, es wäre mal wieder einer seiner üblichen Wutausbrüche fällig, dann schien es Klick zu machen, und er war auf einmal ganz gelassen und gleichgültig. Er beugte sich wieder mit ausdrucksloser Miene über seine Papiere, als beträfen ihn meine Worte überhaupt nicht, ja, als langweilte ihn unser kleiner Disput sogar. Irgendwie wäre mir ein Wutanfall lieber gewesen.
    »In London«, sagte er wie im Selbstgespräch, »liegen die Friedhöfe außerhalb der Stadtgrenzen. Das ist entschieden hygienischer. Wir haben eigene Eisenbahnzüge, um die Leichen per Schiene dort hinzubefördern. So macht man das heutzutage. So was wie das hier ist absolut rückständig.«
    Ich ging nicht darauf ein. Ich werfe meine Perlen doch nicht vor die Säue.
    Etwa eine Stunde schmökerte der Junge im Schein eines Kerzenstummels in seinen Unterlagen und versah sie mit Randnotizen. Er kümmerte sich nicht um mich und ich mich nicht um ihn, außer dass ich heimlich einen kleinen Windstoß durchs Zimmer schickte, sodass die Kerze auf seine Arbeit tropfte. Um halb elf rief er die Rezeption an und bestellte sich in fehlerlosem Tschechisch eine Portion Lammbraten und eine Karaffe Wein aufs Zimmer. Dann legte er den Stift weg, wandte sich nach mir um und strich sich übers Haar.
    »Jetzt hab ich’s!«, sagte ich. Ich hatte es mir auf dem Himmelbett bequem gemacht. »Endlich weiß ich, an wen du mich erinnerst. Schon seit du mich letzte Woche beschworen hast, liegt es mir auf der Zunge. An Lovelace! Du fummelst auch andauernd an deinen Haaren rum. Du kannst sie einfach nicht in Ruhe lassen.«
    »Ich möchte mit dir über die Prager Golems sprechen«, erwiderte er.
    »Muss was mit Eitelkeit zu tun haben… womit sonst. Pfundweise Haargel…«
    »Du hast schon welche gesehen. Was für Zauberer benutzen Golems?«
    »Ich denke mal, es ist auch ein Ausdruck von Unsicherheit. Ein ständiger Zwang, sich zu putzen.«
    »Waren die tschechischen Zauberer die Einzigen, die Golems erschaffen haben? Oder könnten englische Zauberer das auch?«
    »Gladstone hat nie an irgendwas rumgefummelt, weder an seinem Haar noch an sonst was. Er war immer voll konzentriert und bei der Sache.«
    Der Junge blinzelte. Zum ersten Mal zeigte er Interesse. »Du hast Gladstone gekannt?«
    »Gekannt wäre ein bisschen übertrieben. Ich habe ihn von weitem gesehen. Er war bei den Schlachten normalerweise anwesend, sah auf seinen Stab gestützt zu, wie seine Truppen ihr blutiges Handwerk verrichteten, hier in Prag und überall sonst in Europa… Wie gesagt, er war immer ganz bei der Sache, hat alles beobachtet und wenig geredet, und dann, wenn’s drauf ankam, waren seine Entscheidungen schlüssig und durchdacht. Kein Vergleich mit den geschwätzigen Zauberkünstlern von heute.«
    »Ehrlich?« Man sah dem Jungen an, wie spannend er das fand. Rate mal, wen er

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