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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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sich zum Vorbild auserkoren hatte. Volltreffer! »Dann hast du ihn also auf deine boshafte Dämonenart gewissermaßen bewundert?«
    »Nein, natürlich nicht. Er gehörte zu den Allerschlimmsten. Als er starb, läuteten in ganz Europa die Kirchenglocken. Glaub mir, Nathanael, so wie der willst du bestimmt nicht werden. Mal abgesehen davon…«, ich schüttelte ein verstaubtes Kissen auf, »…dass du nicht das Zeug dazu hast.«
    Oha. Das saß.
    »Wieso nicht?«
    »Du bist längst nicht fies genug. Da kommt dein Abendessen.«
    Ein Klopfen kündigte das Eintreffen eines befrackten Hausdieners und eines ältlichen Zimmermädchens an, die etliche zugedeckte Servierplatten und eine eisgekühlte Flasche Wein brachten. Der Junge redete sie höflich an, erkundigte sich nach ein paar Straßen in der Umgebung und entlohnte sie für ihre Mühe mit einem Trinkgeld. Für die Dauer ihrer Anwesenheit kuschelte ich mich als Maus in die Kissen und behielt diese Gestalt auch bei, solange mein Herr und Meister sein Essen herunterschlang. Schließlich ließ er klirrend die Gabel fallen, trank einen letzten Schluck und stand auf.
    »Na gut«, sagte er. »Genug geredet. Es ist Viertel nach elf. Wir müssen los.«
    Das Hotel lag in der Kremenkova, einer kurzen Straße am Rand der Prager Altstadt, ganz nah am Fluss. Wir traten ins Freie, wanderten im Laternenlicht in nördlicher Richtung durch die Straßen und näherten uns langsam, aber stetig dem Getto.
    Trotz der Verwüstungen des Krieges, trotz des Niedergangs der Stadt, nachdem der Kaiser ermordet und ihr gesamtes Potenzial nach London verlagert worden war, hatte sich Prag etwas von seinem alten Zauber und der einstigen Pracht bewahrt. Nicht mal ich, Bartimäus, so kalt mich auch sonst die diversen Drecklöcher lassen, in denen man mich zu Sklavendiensten zwingt, konnte diese Schönheit leugnen: die zartfarbenen Häuser mit den hohen, steilen braunroten Ziegeldächern, die sich um die Helme und Glockentürme der zahllosen Kirchen scharen, die Synagogen und Theater, der große graue Fluss, der sich mitten hindurchschlängelt, überspannt von einem Dutzend Brücken, jede dank der Schufterei schwitzender Dschinn 37
(Ich war 1357 am Bau der Steinernen Brücke beteiligt, der stattlichsten von allen. Neun von uns vollbrachten das Werk wie befohlen in einer einzigen Nacht, wobei wir das Fundament auf die übliche Weise mittels eines Opfers stabilisierten: indem wir einen Dschinn einmauerten. Als der Morgen graute, losten wir mit Strohhalmen um diese »Ehre«. Der arme Humphrey steckt wahrscheinlich immer noch da drin und langweilt sich zu Tode, obwohl wir ihm ein Kartenspiel mitgaben, damit er sich ein wenig die Zeit vertreiben kann. )
in einem anderen Stil erbaut, und ganz oben die alte Kaiserburg, die brütend auf ihrem Hügel hockt.
    Der Junge sagte nicht viel. Das war nicht verwunderlich, denn er war noch nicht oft aus London herausgekommen. Ich nahm an, dass er vor Bewunderung sprachlos war.
    »Das ist ja eine scheußliche Stadt«, sagte er. »Devereaux’ Methoden zur Beseitigung von Slums kämen hier gerade recht.«
    Ich schielte zu ihm herüber. »Irre ich mich oder findet die Goldene Stadt etwa nicht deine Zustimmung?«
    »Na ja… alles ist so…vergammelt, findest du nicht?«
    Es stimmt schon, je tiefer man in die Altstadt vordringt, desto schmaler und labyrinthischer werden die Straßen, die durch ein kompliziertes System von Schleichwegen und Hinterhöfen verbunden sind, wo sich die Häusergiebel einander so windschief zuneigen, dass auch bei Tag kaum ein Lichtstrahl aufs Kopfsteinpflaster fällt. Touristen finden solche Karnickelbauten womöglich malerisch, in meinen Augen, der ich eine sehr persönlich gefärbte Sichtweise vertrete, veranschaulichen sie aufs Wunderbarste die hoffnungslose Verworrenheit allen menschlichen Strebens. Und in den Augen des jungen Zauberers Nathanael, der die breiten, brutalen Verkehrsschneisen von Whitehall gewöhnt war, war das Ganze dann doch zu heruntergekommen und unübersichtlich.
    »Hier lebten einmal sehr bedeutende Magier«, rief ich ihm ins Gedächtnis.
    »Früher vielleicht«, sagte er. »Heute ist heute.«
    Wir kamen an der Steinernen Brücke mit ihrem baufälligen Turm am Ostufer vorbei. Fledermäuse umschwirrten die überstehenden Sparren und in den obersten Fenstern schimmerte flackerndes Kerzenlicht. Trotz der späten Stunde war auf den Straßen noch einiges los. Ein, zwei altmodische Autos mit hohen, schmalen Motorhauben und klobigen

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