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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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»dass unser Hermetischer Mantel länger hält als die Pestilenz. Wenn nicht… tja, dann fürchte ich, Stanley, sind die nächsten Gerippe, die du zu sehen kriegst, unsere eigenen.«
    Unter dem Mantel war es glühend heiß. Kitty wurde schwindlig. Sie biss sich fest auf die Lippe und redete sich gut zu. Wenn sie jetzt ohnmächtig wurde, war sie erledigt.
    Unvermittelt erlosch die Pestilenz. Die grüne Wolke schien zu implodieren, als sei sie in Ermangelung anderer Opfer gezwungen, sich selbst zu verzehren. Eben noch war der ganze Raum von ihrem siechen Licht erfüllt, jetzt wurde sie restlos von der Dunkelheit verschluckt und es war wieder finster.
    Eine Minute verstrich. Schweißtropfen rannen über Kittys Nase. Immer noch rührte sich niemand.
    Jählings brach Mr Pennyfeather in Gelächter aus. Es war ein hohes, fast hysterisches Gelächter, bei dem Kitty das Blut in den Adern stockte. Es klang übertrieben und fast ein wenig irre. Kitty wich instinktiv zurück und machte einen Schritt rückwärts aus dem Mantel heraus. Als sie durch den gelben Baldachin trat, spürte sie ein Prickeln, sonst nichts. Sie sah sich um, dann holte sie tief Luft.
    »Also die Gruft wäre jetzt offen.«

Bartimäus
27
    Es wurde allmählich Abend. Die Betreiber der kleineren Cafés in den Gassen rings um den Platz kamen endlich in Bewegung, entzündeten die Lampen an den Türpfosten und stapelten die Holzstühle aufeinander, die sich im Lauf des Nachmittags immer weiter auf die Bürgersteige hinausgeschoben hatten. Von den tiefschwarzen Turmspitzen der ehrwürdigen Teynkirche, in der mein alter Freund Tycho begraben liegt, 42
(Tycho Brahe (1546-1601), Zauberer, Astronom und Duellant, wahrscheinlich der am wenigsten streitsüchtige meiner vielen Herren. Na ja, eigentlich wohl eher der allerstreitsüchtigste, jedenfalls aus der Sicht seiner Zeitgenossen, denn Tycho war ein leidenschaftlicher Bursche, der ständig in Querelen verwickelt war und die Frauen seiner Freunde zu küssen versuchte. Bei einer solchen Gelegenheit ging er übrigens auch seiner Nase verlustig: Sie wurde ihm im Zweikampf (einer Frau wegen) versehentlich abgesäbelt. Ich fertigte ihm eine hübsche goldene Prothese an und dazu ein zierliches, vorn ausgefranstes Holzstäbchen, mit dem er sich die Nasenlöcher polieren konnte. Auf diese Weise gewann ich seine Freundschaft. Anschließend beschwor er mich nur noch, wenn ihm nach einem netten Plausch war. )
erklang das abendliche Glockenspiel, die Straßen Prags waren vom Stimmengewirr der heimwärts strebenden Bürger erfüllt.
    Den größten Teil des Tages hatte der Junge vor einem Gasthaus an einem weiß gedeckten Tisch gelümmelt und diverse tschechische Zeitungen und billige Broschüren gelesen. Wenn er zwischendurch aufsah, hatte er einen guten Ausblick auf den Altstädter Ring, den alten Marktplatz, auf den die Straße nach ein paar dutzend Metern mündete; wenn er den Blick wieder senkte, hatte er einen sogar noch besseren Ausblick auf ein Stillleben aus leeren Kaffeetassen und Tellern voller Wurstreste und Brezelkrümel, die Überbleibsel seiner nachmittäglichen Brotzeit.
    Ich saß am selben Tisch und trug eine große dunkle Brille und einen fast so todschicken Mantel wie er. Um nicht aufzufallen, hatte ich auf meinen Teller ebenfalls eine Brezel drapiert und in Stücke zerpflückt, damit es aussah, als hätte ich davon genascht, aber ich aß und trank natürlich nichts. 43
(Verderbliche Nahrung beschert unserer Substanz eine Art chronische Verstopfung. Wenn wir schon irgendetwas verschlingen, …sagen wir mal… einen Menschen, sollte dieser möglichst noch lebendig sein, damit seine Lebenskraft direkt in unsere Substanz übergeht. Das gleicht die Plackerei, unverwertbare Bestandteile wie Fleisch und Knochen zu verdauen, einigermaßen wieder aus. Entschuldigung – ich wollte niemandem den Appetit verderben. )
    Der Altstädter Ring gehörte zu den größten offenen Plätzen im Ost-teil der Stadt, eine unebene Fläche mit hellem Kopfsteinpflaster, gesprenkelt mit Passanten und Blumenständen. Vogelschwärme segelten träge von den Dächern der gepflegten, fünfstöckigen Häuser und verteilten sich über den Platz, Rauch stieg aus tausend Schornsteinen; man konnte sich kaum einen friedlicheren Anblick vorstellen, und doch fühlte ich mich unwohl.
    »Hör endlich mit dem Gezappel auf!« Der Junge klatschte seine Lektüre auf den Tisch. »Wie soll ich mich da konzentrieren?«
    »Ich kann nichts dafür«, sagte ich.

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