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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Wie ein Komet flog er in die Nacht hinaus und den Abhang hinunter, wobei er einen glühenden Flammenschweif hinter sich herzog. Tief unten sah ihn Nathanael einmal aufprallen, dann blieb er reglos liegen.
    Schon trippelte die Ratte über den ansteigenden Boden zur Haustür. »Komm endlich«, quiekte sie. »Glaubst du, das hält ihn auf? Wir haben fünf Minuten, höchstens zehn.«
    Nathanael krabbelte hinterher, kroch über qualmende Papierstapel ins Freie und löste erst das innere und dann das äußere Abwehrnetz aus. Der Alarm dröhnte los und weckte die Bewohner des Goldenen Gässchens aus ihren schwermütigen Träumen, aber da waren Ratte und Junge längst an der Turmruine vorbei und rannten die Burgtreppe hinunter, als jagten sämtliche Dämonen dieser Welt mit Gebrüll hinter ihnen her.
    Am nächsten Vormittag ging Nathanael, von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, auf dem Kopf eine Perücke, in der Tasche einen frisch geklauten Pass, über die tschechische Grenze ins von den Engländern kontrollierte Preußen. Er ließ sich vom Lieferwagen eines Bäckers bis nach Chemnitz mitnehmen, wo er unverzüglich die britische Botschaft aufsuchte und sich zu erkennen gab. Telefonate wurden getätigt, Losungswörter überprüft und seine Identität bestätigt. Am frühen Nachmittag ging er an Bord eines Flugzeugs, das direkt nach London flog.
    Den Dschinn hatte er vor der Grenze entlassen, da die zeitlich ausgedehnte Beschwörung seine Kräfte allmählich überstieg. Seit Tagen hatte er kaum geschlafen. Im Flugzeug war es warm, und obwohl er immer noch versuchte, aus den Worten des Söldners schlau zu werden, forderten die Erschöpfung und das Brummen der Triebwerke bald ihren Tribut. Das Flugzeug hatte kaum abgehoben, da war Nathanael auch schon eingeschlafen.
    Nach der Landung in Box Hill weckte ihn ein Flugbegleiter. »Wir sind da, Sir. Ihr Wagen wartet bereits. Man lässt Ihnen ausrichten, Sie möchten sich beeilen.«
    Nathanael betrat die Gangway. Es war kalt und nieselte. Neben der Rollbahn wartete eine schwarze Limousine. Nathanael war immer noch nicht ganz wach und ging langsam die Stufen hinunter. Vage nahm er an, dass seine Meisterin ihn abholte, doch der Rücksitz war leer. Der Chauffeur legte die Hand an die Mütze und öffnete den Wagenschlag.
    »Mit besten Grüßen von Miss Whitwell«, sagte er. »Sie sollen sofort nach London kommen. Diesmal hat der Widerstand direkt in Westminster zugeschlagen und… nun, Sie werden’s ja gleich sehen. Wir sollen uns beeilen. Da bahnt sich eine Katastrophe an.«
    Wortlos stieg Nathanael ein. Die Wagentür schloss sich mit dumpfem Knall.

Kitty
30
    Die Treppe hatte den gleichen Durchmesser wie der Pfeiler. Es war eine enge Wendeltreppe mit niedriger Decke. Sogar Kitty musste den Kopf einziehen, und Fred und Nick mussten, die Oberkörper fast waagerecht, unbeholfen wie zwei Krebse seitwärts gehen. Es war sehr warm und roch ziemlich muffig.
    Mr Pennyfeather ging voran. Er hatte seine Laterne ganz aufgedreht. Die anderen taten es ihm nach und mit dem Licht besserte sich auch die Stimmung. Jetzt da sie es unbehelligt bis unter den Kirchenboden geschafft hatten, waren sie vor Beobachtern sicher. Der gefährlichste Teil der Unternehmung war überstanden.
    Vor Kitty schlurfte Nick treppab, hinter ihr kam Stanley. Obwohl sie seine Laterne im Rücken hatte, empfand sie die tanzenden Schatten an den Wänden als bedrohlich.
    In den Nischen zu beiden Seiten der Treppe hatte sich ein ganzer Spinnenschwarm häuslich niedergelassen. Nach Mr Pennyfeathers Schimpfen zu urteilen, musste er sich seinen Weg durch einen hundertjährigen Spinnwebvorhang bahnen.
    Der Abstieg war bald bewältigt. Kitty zählte dreiunddreißig Stufen, dann trat sie durch eine Gittertür in einen Raum, der vom Laternenlicht nur mäßig erhellt wurde. Sie trat beiseite, um Stanley Platz zu machen, und streifte die Sturmhaube ab, wie Mr Pennyfeather es soeben vorgemacht hatte. Sein Gesicht war leicht gerötet, der grauweiße Haarkranz stand wirr von seinem Hinterkopf ab.
    »Willkommen in Gladstones Gruft«, raunte er mit hoher, heiserer Stimme.
    Zu Anfang fühlte sich Kitty vor allem beklommen, denn sie musste unwillkürlich daran denken, wie viele Tonnen Stein auf der niedrigen Decke lasteten. Diese war aus sorgfältig behauenen Steinen gefügt, die sich im Lauf der Zeit gegeneinander verschoben hatten. In der Mitte hing sie beunruhigend durch und schien auf das schwache Licht zu drücken, als wollte sie es ersticken.

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