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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Autoren: Jonathan Stroud
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Einlass in das verborgene Tal und ergoss sich auf den Sandsteinboden.
    Doch das Wadi war tief und schmal und auf einer Seite warf ein Felsvorsprung einen pechschwarzen Schatten. An diesem geschützten Fleckchen hatte jemand ein kleines Feuer entfacht. Die kümmerlichen roten Flammen spendeten kaum Licht. Eine dünne Rauchfahne stieg auf und wurde von der eisigen Nachtluft fortgetragen.
    Am Ufer des Mondscheinteichs saß jemand im Schneidersitz am Feuer. Es war ein muskulöser, glatzköpfiger Mann mit glänzender, eingeölter Haut. An seinem Ohr baumelte ein schwerer Goldring, seine Miene war ausdruckslos. Nun zog er aus einem Beutel, den er um den Leib gebunden trug, eine Flasche mit einem Metallverschluss. Mit trägen Bewegungen, die dennoch an die katzenhafte Anmut eines Wüstenlöwen gemahnten, öffnete er die Flasche und trank. Dann warf er sie weg und starrte in die Glut.
    Bald verbreitete sich ein eigenartiger Duft im Tal, untermalt von fernen Zitherklängen. Dem Mann sank das Kinn auf die Brust, man sah nur noch das Weiße in seinen Augen. Er war im Sitzen eingenickt. Die Musik wurde lauter, schien aus den tiefsten Tiefen der Erde zu dringen.
    Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel, schritt am Feuer vorbei, vorbei auch an dem Schlafenden, bis sie auf dem hellen Fleck in der Mitte des Tales stand. Die Musik schwoll noch weiter an, ja, der Mond schien noch heller zu strahlen, um ihr zu huldigen. Ein Sklavenmädchen: jung, von erlesener Schönheit, zu arm, um sich angemessen kleiden zu können. Ihr Haar hing in langen dunklen Locken herab, die bei jedem Schritt wippten. Ihr Gesicht war blass und glatt wie Porzellan, die Augen groß und voller glitzernder Tränen. Sie fing an zu tanzen, erst zögerlich, dann mit jähem Ungestüm. Sie sprang in die Luft und drehte sich, ihr hauchdünnes Gewand mühte sich vergebens, den Bewegungen zu folgen. Ihre schlanken Arme wanden sich verführerisch, während ihren Lippen fremdartiger Gesang entströmte, ein Klagelied von Einsamkeit und Verlangen.
    Das Mädchen beendete seinen Tanz. In stolzer Verzweiflung warf es den Kopf in den Nacken und blickte zum schwarzen Himmel empor, zum Mond. Die Musik erstarb. Stille.
    Dann eine schwache Stimme, wie vom Wind herangeweht: »Amaryllis…«
    Das Mädchen fuhr zusammen und schaute sich um, sah aber nur Felsen, den Himmel und den bernsteinfarbenen Mond. Sie stieß einen reizenden Seufzer aus.
    »Liebste Amaryllis…«
    »Sir Bertilak?«, antwortete sie mit belegter, bebender Stimme. »Seid Ihr das?«
    »Ganz recht.«
    »Wo seid Ihr? Weshalb haltet Ihr mich so zum Narren?«
    »Ich verberge mich hinter dem Mond, liebste Amaryllis, denn ich fürchte, der Anblick deiner Schönheit könnte meine Substanz versengen. Verhülle dein Antlitz mit dem Schleier, der so schnöde deinen Busen umwallt, damit ich es wagen kann, mich dir zu nähern.«
    »O Bertilak! Von Herzen gern!« Das Mädchen tat wie geheißen. Aus dem Dunkel drangen leise, zustimmende Ausrufe. Jemand hustete.
    »Geliebte Amaryllis! Weiche zur Seite! Ich komme zur Erde hinab.«
    Mit verhaltenem Keuchen drückte sich das Mädchen an einen Felsen und reckte erwartungsvoll den Hals. Ein Donnerschlag erscholl, der Tote hätte aufwecken können. Mit offenem Mund spähte das Mädchen empor. Vom Himmel stieg gemessenen Schrittes eine Gestalt herab. Der Mann trug ein silbernes Wams auf dem bloßen Oberkörper, einen langen, wehenden Umhang, Pluderhosen und elegante Pantoffeln mit gebogenen Spitzen. In seinem juwelenbesetzten Gürtel stak ein imposanter Krummsäbel. Mit erhobenem Haupt, blitzenden Augen und unter der kühnen Nase selbstbewusst vorgeschobenem Kinn stieg er hernieder. Aus seinen Schläfen ragten krumme elfenbeinfarbene Hörner.
    Er landete sanft unweit des Mädchens, das sich immer noch an den Felsen drückte, lächelte strahlend und vollführte eine schwungvolle Gebärde. Ringsum waren gedämpfte weibliche Seufzer zu vernehmen.
    »Aber, aber, Amaryllis… hat es dir die Sprache verschlagen? Hast du den Anblick deines geliebten Dschinns schon so bald vergessen?«
    »Aber nein, Bertilak! Nicht in sieben noch in siebenzig Jahren könnte ich auch nur ein einziges gesalbtes Haar auf Eurem Haupte vergessen. Doch die Zunge versagt mir den Dienst, und das Herz schlägt mir bis zum Halse vor Angst, dass womöglich der Zauberer erwacht und uns ertappt! Dann wird er meine schlanken weißen Waden wieder in Ketten legen und dich abermals in seine Flasche verbannen!«
    Doch der Dschinn
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