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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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die Sonne unter.
    Obwohl der zwischen die Häuser gezwängte Markt schon im tiefen bläulichen Abendschatten lag, strahlten Straßen und Gebäude immer noch so viel Wärme ab, dass Mr Pinn seinen Spaziergang genoss. Er trug einen weißen Leinenanzug und auf dem Kopf einen breitkrempigen Strohhut. In einer Hand schwenkte er lässig einen elfenbeinernen Spazierstock, mit der anderen tupfte er sich dann und wann mit einem riesigen gelben Taschentuch den Nacken.
    Sogar die frisch geputzten Schuhe hatte Mr Pinn mit Sorgfalt gewählt, und das trotz der verdreckten Bürgersteige, die mit dem Abfall im Gehen verzehrter Mahlzeiten übersät waren: mit angefaultem Obst, Falafeltüten, Nuss-und Austernschalen sowie Fett-und Knorpelresten. Mr Pinn war über derlei Unannehmlichkeiten erhaben – wo er ging und stand, wurde der Müll von unsichtbarer Hand beiseite gefegt.
    Beim Bummeln inspizierte er die Buden zu beiden Seiten durch sein dickes Glasmonokel. Dabei trug er wie üblich eine teils gelangweilte, teils amüsierte Miene zur Schau, um die Annäherungsversuche der Händler abzuwehren, die ihn selbstverständlich alle kannten.
    »Señor Pinn! Ich hätte für Sie eine balsamierte Hand unbekannten Ursprungs! Sie stammt aus der Sahara… ich halte sie für die Reliquie eines Heiligen. Ich habe alle anderen Kunden weggeschickt und gewartet, bis Sie kommen…«
    »Einen Augenblick, Monsieur! Bitte sehen Sie sich an, was ich in dem seltenen Obsidiangefäß hier habe…«
    »Beachten Sie dieses Pergament voller Runen…«
    »Mr Pinn, hören Sie nicht auf diese Schwindler, Sir! Ihr erlesener Geschmack wird Ihnen auf den ersten Blick…«
    »…dieses entzückende Figürchen…«
    »…die Drachenzähne hier…«
    »…der Flaschenkürbis da…«
    Mr Pinn lächelte höflich, warf einen flüchtigen Blick auf das Angepriesene, ignorierte das Geschrei und ging gemessenen Schrittes weiter. Er kaufte nie viel, denn sein eigener Bestand wurde von seinen Kommissionären im ganzen britischen Weltreich zusammengekauft und exklusiv eingeflogen. Trotzdem… man konnte nie wissen. Der Markt war immer einen Besuch wert.
    Die Budenreihe endete mit einem Stand, auf dem sich Gläser und Keramik türmten. Die meisten Stücke waren eindeutig moderne Fälschungen, doch ein kleines blaugrünes Gefäß mit einem versiegelten Pfropfen fiel Mr Pinn ins Auge. »Das da… was ist das?«, wandte er sich obenhin an die Verkäuferin.
    »Eine Fayence aus Ombos im antiken Ägypten, mein Herr!«, erwiderte die junge Frau mit dem bunten Kopftuch. »Sie wurde in einem tiefen, mit einem schweren Stein verschlossenen Grab gefunden, als Beigabe zum Skelett eines großen, geflügelten Mannes.«
    Mr Pinn zog die Augenbraue hoch. »Aha. Und befindet sich besagtes wundersames Skelett ebenfalls in Ihrem Besitz?«
    »Leider nicht. Es wurde bei der Bergung von den unvorsichtigen Arbeitern zerstört.«
    »Wie praktisch. Und das Gefäß… hat es schon mal jemand geöffnet?«
    »Nein, Sir. Ich vermute, es ist ein Dschinn drin, vielleicht auch eine Pestilenz. Kaufen Sie’s, machen Sie’s auf und sehen Sie selbst nach!«
    Mr Pinn nahm das Gefäß in die Hand, drehte und wendete es in den dicken weißen Fingern. »Hm…«, murmelte er. »Dafür, dass es so klein ist, ist es ungewöhnlich schwer. Vielleicht enthält es ja einen verdichteten Bann… Jedenfalls ist es nicht ganz uninteressant. Was soll es kosten?«
    »Einhundert Pfund… weil Sie’s sind, Sir.«
    Mr Pinn lachte herzlich. »Ich bin zwar recht wohlhabend, meine Liebe, aber deswegen lasse ich mich noch lange nicht über den Tisch ziehen.« Er schnipste mit den Fingern. Die Gefäße klapperten, als jemand Unsichtbares an einer der hölzernen Stützen der Bude hochkletterte, scharrend über die Plane huschte und sich der Frau von oben auf den Rücken fallen ließ. Sie kreischte. Mr Pinn, der immer noch das blaugrüne Gefäß in der Hand wog, sah nicht einmal auf. »Nichts gegen ein bisschen Feilschen, meine Liebe, aber man sollte immer von einem vernünftigen Angebot ausgehen. Vielleicht möchten Sie doch lieber einen anderen Preis vorschlagen? Mr Simpkin, mein Gehilfe, wird Sie wissen lassen, ob Ihr Angebot diskutabel ist.«
    Als die Frau kurz darauf vom Würgegriff unsichtbarer Hände um ihre Kehle blau angelaufen war, nannte sie röchelnd einen Bruchteil der Ausgangssumme. Mr Pinn warf ein paar Münzen auf die Auslage und ging bester Laune davon, seine Beute wohl verwahrt in der Jackentasche. Er verließ den Markt

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