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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Länge gezogen und im nächsten Augenblick in die Welt und die so vertrauten wie verhassten Schranken eines Pentagramms hinausgeschleudert.
    Wo ich mich, dem uralten Gesetz gehorchend, sogleich materialisierte. Mal überlegen… Welche Gestalt sollte ich annehmen? Es war eine mächtige Beschwörungsformel, demnach besaß der unbekannte Zauberer einige Erfahrung und würde sich wohl kaum von einem keltischen Gestaltwandler oder einem Gerippe mit spinnwebverhangenen Augenhöhlen einschüchtern lassen. Daher entschied ich mich für eine anmutige, anspruchsvolle Erscheinungsform, um meinen Beschwörer mit vollendetem Raffinement zu beeindrucken.
    Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, wenn mir ein kleines Eigenlob gestattet ist. Eine große, schillernde, perlmuttern schimmernde Gasblase rotierte in der Luft. Sie verströmte zarte, würzige Wohlgerüche und dazu erklangen, ganz leise nur, wie aus weiter Ferne, die süßen Sphärenklänge von Harfen und Geigen. In der Blase saß ein wunderschönes Mädchen mit einer kleinen, runden Brille auf dem zierlichen Näschen. 11
(Als Vorlage diente mir eine Vestalin, die ich im Alten Rom kennen gelernt hatte, eine Frau mit bemerkenswert freizügigen Ansichten. Die jungfräuliche Julia schlich sich nächtens von der heiligen Flamme weg und wettete im Circus Maximus beim Wagenrennen. Eine Brille trug sie natürlich nicht. Die hatte ich nur hinzugefügt, um ihrem Gesicht mehr Würde zu verleihen. Künstlerische Freiheit sozusagen. )
Sie blickte gelassen nach draußen.
    Und stieß einen empörten Schrei aus.
    »Du!«
    »Nun warte doch mal, Bartimäus…«
    »Du!« Die Sphärenklänge verstummten mit einem hässlichen Rülpser, die zarten, würzigen Wohlgerüche schlugen in ranziges Gemüffel um. Das liebliche Mädchengesicht lief puterrot an, die Augen quollen hervor wie pochierte Eier, die Brillengläser zersprangen. Der Rosenmund riss auf und entblößte scharfe, gelbe, zornig mahlende Zähne. In der Blase tanzten Flammen, und sie schwoll bedrohlich an, als wollte sie platzen. Sie drehte sich jetzt so schnell, dass die Luft vibrierte.
    »Jetzt hör mir doch mal zu…«
    »Wir hatten eine Abmachung! Wir haben einander etwas geschworen!«
    »Na ja, ganz so war es auch wieder nicht…«
    »Ach nein? Du hast aber ein schlechtes Gedächtnis! Denn es ist doch erst ganz kurz her, oder? Am Anderen Ort verliert man schnell das Zeitgefühl, aber du hast dich kaum verändert. Du bist immer noch dasselbe mickrige Bürschchen!«
    Er richtete sich hoch auf. »Ich bekleide ein wichtiges Regierungsamt…«
    »Du musst dich noch nicht mal rasieren. Wie lange ist es her – zwei oder drei Jahre?«
    »Zwei Jahre und acht Monate.«
    »Dann bist du jetzt vierzehn und rufst mich schon wieder!«
    »Schon, aber nun lass mich doch mal ausreden! Ich habe damals nichts geschworen. Ich habe dich einfach nur entlassen. Ich habe nicht versprochen, dass…«
    »…dass du mich nie wieder rufst? Aber genau das war die zugrunde liegende Bedingung! Ich vergesse deinen richtigen Namen und du meinen. Abgemacht. Und jetzt…« Das reizende Mädchengesicht in der rotierenden Blase verwandelte sich flugs in eine primitive Visage: wulstige Stirn, buschige Brauen, höckerige Nase, rot funkelnde Augen… Die kleine runde Brille wollte jetzt nicht mehr so recht dazu passen. Eine Pfote packte zu und stopfte die Brille in den klaffenden Rachen, wo sie von spitzen Zähnen zu Staub zermalmt wurde.
    Der Junge hob die Hand. »Lass den Quatsch und hör einen Moment zu.«
    »Zuhören soll ich? Wo mir noch vom letzten Mal alles wehtut? Glaub mir, ich habe mit wesentlich mehr als zwei Jahren gerechnet…«
    »Zwei Jahren und acht Monaten.«
    »…zwei lumpigen Menschenjahren, um den Schock über unsere Begegnung zu verwinden. Klar habe ich damit gerechnet, dass mich eines Tages wieder irgendein Schwachkopf mit spitzem Hut beschwört, aber doch nicht derselbe wie beim letzten Mal!«
    Er zog einen Flunsch. »Ich trage keinen spitzen Hut!«
    »Du bist so was von bescheuert! Ich kenne deinen Geburtsnamen und du holst mich gegen meinen Willen zurück. Prima, dann reibe ich halt jedem deinen Namen unter die Nase, bis mein Auftrag erledigt ist!«
    »Aber du hast doch geschworen…«
    »Mein Schwur ist ungültig, Schluss, aus, Ende, Empfänger unbekannt verzogen. So schlau wie du bin ich schon lange, Kleiner.« Das Mädchengesicht war endgültig verschwunden. An seiner Stelle schnappte eine viehische Fratze mit gebleckten Zähnen und

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