Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
gebrauchen. Alles sprach dafür, ihn zu entlassen, aber wie immer konnte sich Mandrake nicht dazu durchringen. Den Grund dafür wusste er selbst nicht recht, denn anders als seine übrigen Diener hatte ihm dieser Dschinn nie auch nur einen Funken Respekt erwiesen. Seine Frotzeleien nervten und ärgerten den Zauberer furchtbar, hatten aber auch etwas Erfrischendes. Mandrake bewegte sich in einer Welt, in der man seine Gefühle stets hinter einer höflich lächelnden Maske verbarg, Bartimäus dagegen machte keinen Hehl aus seiner Abneigung. Waren Ascobol und Konsorten schmeichlerisch und unterwürfig, so benahm sich Bartimäus noch genauso unverschämt wie bei ihrer ersten Begegnung, damals, als er, John Mandrake, noch ein kleiner Junge mit einem ganz anderen Namen gewesen war…
Mandrake hüstelte und setzte sich gerade hin. Das war der springende Punkt, natürlich! Der Dschinn kannte seinen Geburtsnamen! Eine riskante Sache für jemanden in seiner Position. Wenn nun ein anderer Zauberer den Dämon beschwor und herausfand…
Mandrake seufzte. Seine Gedanken wechselten von einem ausgetretenen Pfad auf den nächsten. Ein dunkelhaariges Mädchen. Hübsch. Unschwer zu erraten, welche Erscheinungsform der Dschinn gewählt hatte. Seit Kitty Jones’ Tod benutzte Bartimäus ihre Gestalt, um Nathanael zu ärgern, und das nicht ohne Erfolg. Noch nach drei Jahren gab es dem jungen Zauberer einen heftigen Stich, wenn er ihr Gesicht vor sich sah. Er schüttelte matt den Kopf. Denk nicht mehr an sie! Sie war eine Verräterin und jetzt ist sie tot.
Der vermaledeite Dämon war unwichtig. Wichtig waren allein die zunehmenden Unruhen wegen des Krieges und natürlich die bedenklichen neuen Fähigkeiten der Gewöhnlichen. Fritangs Bericht über Eier werfende Halbstarke war nur die letzte einer ganzen Serie beunruhigender Meldungen.
Seit Gladstones Zeiten hatten die Zauberer stets eine Grundregel beherzigt: Je weniger die Gewöhnlichen über Zauberei und deren Hilfsmittel wissen, desto besser. Deshalb hatten sämtliche Diener, vom kümmerlichsten Kobold bis zum arrogantesten Afriten, strikte Anweisung, möglichst wenig Aufsehen zu verursachen, wenn sie im Auftrag ihrer Herren unterwegs waren. Manche nutzten die Gabe, sich unsichtbar zu machen, die meisten wählten eine unauffällige Gestalt. So kam es, dass die unzähligen Dämonen in Londons Straßen und über Londons Dächern im Normalfall unbemerkt blieben.
Leider war das inzwischen nicht mehr der Normalfall.
Woche für Woche wurden neue Fälle von enttarnten Dämonen bekannt. Über Whitehall war ein Schwarm Botenkobolde von einer kreischenden Schulklasse entdeckt worden. Die verantwortlichen Zauberer berichteten, die Kobolde seien ordnungsgemäß als Tauben getarnt gewesen und hätten eigentlich niemandem auffallen dürfen. Ein paar Tage darauf war ein Juwelierlehrling, der erst seit kurzem in London lebte, mit irrem Blick die Horseferry Road hinuntergerannt und über die Ufermauer in die Themse gesprungen. Zeugen behaupteten, er habe die Passanten schreiend gewarnt, dass sich unter ihnen lauter Geister herumtrieben. Nachforschungen ergaben, dass in der Horseferry Road an jenem Tag tatsächlich etliche Spitzeldämonen im Einsatz gewesen waren.
Wenn es tatsächlich Gewöhnliche gab, die schon mit der Fähigkeit, Dämonen zu erkennen, zur Welt kamen, würde die aufrührerische Stimmung, die seit einiger Zeit in London herrschte, noch zunehmen. Mandrake schüttelte gereizt den Kopf. Er musste unbedingt eine Bibliothek aufsuchen und nach historischen Parallelen forschen. Ein solches Phänomen musste auch schon früher aufgetreten sein. Aber dafür hatte er keine Zeit, die Gegenwart war vertrackt genug. Die Vergangenheit musste warten.
Es klopfte unaufdringlich. Ein Hausangestellter kam herein, wobei er den Pentagrammen auf dem Boden tunlichst auswich.
»Die stellvertretende Polizeichefin ist unten und möchte Sie sprechen, Sir.«
Mandrake zog verwundert die Stirn kraus. »Ach, tatsächlich? Schön. Führ sie herauf.«
Es dauerte drei Minuten, bis der Mann die beiden Treppen hinuntergeeilt und mit der Besucherin zurückgekehrt war, was Mr Mandrake Gelegenheit verschaffte, seinen kleinen Taschenspiegel vorzukramen und sein Aussehen gründlich zu überprüfen. Er strich sich den kurzen Haarwirbel glatt und wischte sich ein paar Fusseln von den Schultern. Als er mit sich zufrieden war, vertiefte er sich in seine Akten – ein Musterbild wohl frisierten Fleißes.
Ihm war bewusst,
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