Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
dass er sich albern benahm, aber das hielt ihn nicht davon ab. Wenn ihm die stellvertretende Polizeichefin einen Besuch abstattete, war er immer befangen.
Nach forschem Klopfen betrat Jane Farrar mit flottem Schritt und graziösen, entschlossenen Bewegungen das Zimmer. In der Hand trug sie ein Kugelköfferchen. Mr Mandrake machte höflichkeitshalber Anstalten aufzustehen, aber sie winkte ab.
»Sie brauchen mir nicht wieder zu versichern, wie Sie sich freuen, mich zu sehen, John, davon gehe ich einfach mal aus. Ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen.«
»Bitte.« Er wies auf den Ledersessel neben dem Schreibtisch. Sie setzte sich, stellte das Kugelköfferchen auf die Tischplatte und grinste ihn an, Mandrake grinste zurück. Sie belauerten einander liebenswürdig wie zwei Katzen, die um eine halb tote Maus herumschleichen: kraftvoll, geschmeidig und sich des beiderseitigen Argwohns bewusst.
Die Golem-Affäre vor drei Jahren hatte mit dem Ehrverlust und Tod des Polizeichefs Henry Duvall ihr Ende gefunden und der Premierminister hatte sich noch nicht dazu durchringen können, einen Nachfolger zu benennen. Vielmehr hatte er dessen Amt, als symbolische Geste dafür, wie sehr er den Zauberern seines Kabinetts misstraute, selbst übernommen und die damit verbundene Arbeit Duvalls Stellvertreterin überlassen. Jane Farrar füllte diesen Posten nun schon seit zwei Jahren aus. Sie galt als außerordentlich fähig, schließlich war es ihr gelungen, trotz ihrer engen Beziehung zu dem verstorbenen Duvall das Vertrauen des Premierministers zurückzuerobern. Inzwischen gehörten sie und Mandrake zu Mr Devereaux’ engsten Mitarbeitern. Deshalb bemühten sich beide mehr schlecht als recht um kollegiale Herzlichkeit, obwohl die alte Rivalität unter der Oberfläche weiterbrodelte.
Mandrake fand Jane Farrar noch aus einem anderen Grund beunruhigend. Mit ihren langen dunklen, glänzenden Haaren und den grünen, sarkastisch funkelnden Augen unter den langen Wimpern war sie nach wie vor sehr schön. Ihr Aussehen lenkte ihn ständig ab, und er musste seine ganze frühreife Professionalität aufbieten, um im Gespräch mit ihr nicht den Faden zu verlieren.
Er lümmelte sich auf seinem Drehsessel. »Ich habe Ihnen auch etwas zu berichten«, erwiderte er. »Wer fängt an?«
»Bitte sehr, nach Ihnen. Aber machen Sie’s kurz.«
»Gut. Wir müssen den Premierminister unbedingt auf die neuartigen Fähigkeiten der Gewöhnlichen hinweisen. Gestern wurde schon wieder einer meiner Dämonen enttarnt, und wieder von Kindern. Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu erklären, was das bedeutet.«
Miss Farrar zog die hübsch geschwungenen Brauen zusammen. »Nein. Heute früh sind die neuesten Berichte über die Streiks der Arbeiter und Maschinenschlosser auf den Werften eingetroffen. Arbeitsniederlegung, Demonstrationen. Nicht nur in London, sondern inzwischen auch im Umland. Die Protestaktionen werden von Gewöhnlichen organisiert, die über ebensolche Fähigkeiten verfügen. Wir müssen sie verhaften lassen.«
»Mhm. Aber was ist die Ursache, Jane? Woher kommt das?«
»Damit befassen wir uns, sobald sie wohl verwahrt im Tower sitzen. Mittlerweile haben wir in sämtlichen Kneipen Spitzel im Einsatz, um Näheres herauszufinden. Anschließend gehen wir mit äußerster Härte dagegen vor. Sonst noch etwas?«
»Da wäre noch der jüngste Überfall in Kent, aber das hat Zeit bis zur nächsten Kabinettssitzung.«
Miss Farrar zog mit schlanken Fingern den Reißverschluss des Köfferchens auf, schlug das Tuch auseinander und enthüllte eine kleine, bläuliche, makellose Kristallkugel mit abgeflachter Standfläche. Sie schob die Kugel in die Schreibtischmitte und verkündete: »Jetzt bin ich dran.«
Der Zauberer setzte sich gespannt auf. »Einer Ihrer Spitzel?«
»Sie haben’s erfasst. Passen Sie gut auf, John, es ist wichtig. Sie wissen doch, dass Mr Devereaux mich gebeten hat, unsere Zauberer im Auge zu behalten, damit nicht einer von ihnen auf die Idee kommt, in Duvalls und Lovelace’ Fußstapfen zu treten?«
Mr Mandrake nickte. Mehr noch als die amerikanischen Rebellen, mehr noch als alle feindlichen Nationen im übrigen Europa, mehr noch als die aufrührerischen Gewöhnlichen auf Londons Straßen fürchtete der Premierminister sein eigenes Kabinett, jene Männer und Frauen, die an seinem Tisch saßen und von seinem Wein tranken. Diese Furcht war durchaus begründet, denn die Minister waren äußerst ehrgeizig, trotzdem lenkte es ihn von
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