Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
dringlicheren Aufgaben ab. »Was haben Sie denn herausgefunden?«, erkundigte sich Mandrake.
»Einiges.« Jane Farrar fuhr mit der Hand über die Kugel und beugte sich vor, sodass ihr das lange schwarze Haar ins Gesicht fiel. Mandrake räusperte sich und beugte sich ebenfalls vor, wobei er wie immer ihren Geruch, ihre Figur und überhaupt ihre Nähe genoss. So gefährlich und katzenhaft tückisch Miss Farrar sein mochte, ihre Gesellschaft hatte ihren eigenen Reiz.
Sie sprach ein paar Worte. Blaue Fünkchen rieselten innen an der Kugel herunter und sammelten sich in der unteren Hälfte. Die obere Hälfte blieb klar. Dort war ein Umriss zu erkennen, ein verschwommenes Gesicht. Es flackerte und bewegte sich, kam aber nicht näher.
Miss Farrar blickte auf. »Das ist Yole«, erklärte sie. »Yole beschattet seit einiger Zeit einen gewissen Nachwuchszauberer, der mir aufgefallen ist. Palmer heißt er, Zweite Stufe, arbeitet im Innenministerium. Man hat ihn bei der Beförderung ein paarmal übergangen, er ist deswegen ziemlich sauer. Gestern hat er sich krankgemeldet und ist nicht zur Arbeit erschienen. Stattdessen hat er seine Wohnung zu Fuß verlassen und eine Kneipe in der Gegend von Whitechapel aufgesucht. Dabei war er wie ein einfacher Arbeiter gekleidet. Yole ist ihm gefolgt und kann uns berichten, was sich dort zugetragen hat. Es dürfte Sie interessieren.«
Mandrake machte eine unbestimmte Handbewegung. »Bitte fahren Sie fort.«
Jane Farrar schnippte mit den Fingern und forderte die Kugel auf: »Zeig uns die Kneipe, aber mit Ton.«
Das Gesicht wich zurück und verschwand, in der Kugel erschien ein Bild: Holzbalkendecke, weiß getünchte Wände, ein langer Tisch unter einem Messingkronleuchter. Rauch stand vor verdreckten Butzenscheiben. Der Blick des Betrachters kam von so weit unten, dass es aussah, als liege er auf dem Boden. Schlampig gekleidete Frauen und Männer in schlecht sitzenden Anzügen gingen vorbei. Leise, wie aus weiter Ferne, hörte man Gelächter, Husten und Gläsergeklirr.
Am Tisch saß ein untersetzter Herr mittleren Alters mit rosigem Gesicht und grau meliertem Haar. Er trug einen schäbigen Mantel und eine Schiebermütze. Sein Blick wanderte unstet hin und her, als hielte er unter den Gästen im Schankraum nach jemand Bestimmtem Ausschau.
Mandrake beugte sich weiter vor und atmete dabei tief ein. Farrars Parfüm war heute besonders intensiv und duftete nach… Granatapfel. »Das ist Palmer, oder?«, fragte er. »Aber der Blickwinkel ist irgendwie komisch. Viel zu tief.«
Sie nickte. »Yole hockte als Maus an der Scheuerleiste. Er wollte besonders unauffällig sein, aber das war leider ein Irrtum, was, Yole?« Sie tätschelte die Kugel.
Schwaches Gewimmer: »Ganz recht, Herrin.«
»Mhm. Richtig, das ist Palmer. Normalerweise kleidet er sich recht adrett. Aufgepasst, gleich kommt’s. Es ist von hier unten schlecht zu sehen, aber er hat ein Bierglas in der Hand.«
»Nein, so was«, murmelte Mandrake, »wo wir doch in einer Kneipe sind.« Eindeutig Granatapfel, vielleicht mit einem Hauch Limone…
»Sie werden schon noch sehen, was ich meine. Er wartet auf jemanden.«
Mandrake betrachtete den Mann in der Kugel. Wie bei einem Zauberer, der sich in die Gesellschaft von Gewöhnlichen begibt, nicht weiter verwunderlich, schien sich Mr Palmer unwohl zu fühlen. Sein Blick huschte hin und her, Hals und Stirn glänzten verschwitzt. Zweimal hob er das Glas, als wollte er einen Schluck trinken, zweimal setzte er es nur an die Lippen und stellte es bedächtig und außer Sichtweite wieder auf den Tisch.
»Er ist nervös«, konstatierte Mandrake.
»Ganz recht. Armer Palmer.«
Obwohl Jane Farrar leise sprach, hatte ihre Stimme einen schneidenden Unterton. Mandrake atmete wieder ein. Das herbe Aroma war gerade richtig und passte hervorragend zu der lieblicheren Duftnote.
Miss Farrar hüstelte. »Stimmt was nicht mit Ihrem Stuhl, Mandrake?«, erkundigte sie sich. »Wenn Sie noch weiter vorrutschen, sitzen Sie mir auf dem Schoß.«
Er blickte so erschrocken von der Kugel auf, dass sie beinahe mit den Köpfen zusammengestoßen wären. »Entschuldigung, Farrar, tut mir Leid.« Er räusperte sich und fuhr mit tieferer Stimme fort: »Das kommt von der Spannung. Was führt dieser Palmer im Schilde? Ein höchst verdächtiges Subjekt.« Geistesabwesend zupfte er an seiner Manschette herum.
Miss Farrar warf ihm einen befremdeten Blick zu und deutete wieder auf die Kugel. »Dann schauen Sie doch
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