Bartimäus 03 - Die Pforte des Magiers
ausstehen. Er ist nicht nur aufdringlich, manchmal glaube ich fast, er ist nicht ganz klar im Kopf.«
»Jedenfalls ist er heute in Feierlaune.« Insgeheim teilte Mandrake Sholtos Einschätzung. »Na ja. Aber wir sind uns schon eine ganze Weile nicht mehr begegnet, Sholto.«
»Allerdings. Ich hatte geschäftlich viel in Asien zu tun.« Der Dicke seufzte und stützte sich schwer auf seinen Stock. »Inzwischen muss ich mich persönlich um neue Ware kümmern. Die Zeiten sind schwierig.«
Mandrake nickte. Von der Verwüstung seines Stammgeschäfts unter der Schreckensherrschaft des Golem hatte sich Sholto Pinn nie recht erholt. Obwohl er seinen Laden sofort wieder aufgebaut hatte, war seine finanzielle Lage seither prekär. Dazu kamen der Krieg und der damit einhergehende Zusammenbruch des Handels. Immer weniger Kunstgegenstände gelangten nach London und immer weniger Zauberer waren bereit, dafür Geld auszugeben. Wie viele andere war auch Pinn in den letzten paar Jahren sichtlich gealtert. Sein wuchtiger Körper schien zusammengesunken, der weiße Anzug saß nicht mehr richtig. Er tat Mandrake ein bisschen Leid.
»Was gibt es Neues in Asien?«, erkundigte er sich. »Was haben wir dort für einen Stand?«
»Diese dämlichen Masken! Ich wette, die haben mir die alleralbernste verpasst.« Pinn lupfte die Lämmchenlarve und tupfte sich mit einem Taschentuch das verschwitzte Gesicht. »Das Reich ist aus dem Tritt geraten, Mandrake. In Indien spricht man von Aufständen. Es heißt, die Bergzauberer im Norden seien eifrig dabei, ein Dämonenregiment aufzustellen. Die Garnisonen in Delhi haben unsere japanischen Verbündeten um Unterstützung bei der Verteidigung der Stadt gebeten. Das muss man sich mal vorstellen! Ich befürchte das Schlimmste.« Der alte Mann seufzte und setzte die Maske wieder auf. »Na, wie sehe ich aus, Mandrake? Wie ein lustiges Lämmlein?«
Mandrake grinste unter seiner Maske. »Hab schon lustigere gesehen, Sir.«
»Dacht ich’s mir doch. Tja, wenn ich mich schon zum Narren machen muss, dann richtig. Heda, Kleine!« Er salutierte scherzhaft mit dem Spazierstock und stapfte hinter einem Serviermädchen her. Mandrake blickte ihm nach und seine vorübergehend gute Laune verflog in der kühlen Nachtluft. Sein Blick wanderte zum sternklaren Himmel empor.
Damals im Garten, mit dem Skizzenblock auf dem Schoß…
Er schleuderte sein Glas hinter die Säule und ging ins Haus.
In der weitläufigen Diele sah Mandrake etwas abseits der plaudernden Grüppchen Jane Farrar stehen. Am Handgelenk hatte sie ihre Maske hängen, ein Paradiesvogel mit aprikosenfarbenen Schmuckfedern. Sie schlüpfte in ihren Mantel, den ihr ein Lakai hinhielt. Als Mandrake sich näherte, trat der Bedienstete beiseite.
»Sie wollen schon gehen?«
»Ja, ich bin müde, und wenn mich Quentin Makepeace noch ein Mal mit seinem blöden Theaterstück belästigt, hau ich ihm eine runter.« Sie zog einen überaus reizenden Flunsch.
Mandrake trat noch näher. »Wenn Sie wollen, begleite ich Sie nach Hause. Ich habe hier auch nichts mehr verloren.« Mit ungezwungener Geste nahm er die Maske ab.
Sie lächelte. »Ich habe drei Dschinn und fünf Foliot als Geleitschutz. Was können Sie mir bieten, das die mir nicht bieten können?«
Die Schwermut und Gleichgültigkeit, die im Lauf des Abends immer mehr von ihm Besitz ergriffen hatten, schlugen in Verwegenheit um. Was kümmerten ihn Folgen und Konsequenzen, in Jane Farrars Nähe vergaß er alle Bedenken. Wie zufällig berührte er ihre Hand. »Lassen Sie uns mit meinem Wagen nach London zurückfahren. Dann beantworte ich Ihnen die Frage unterwegs.«
Sie lachte. »Es ist eine lange Fahrt bis London, Mr Mandrake.«
»Vielleicht habe ich ja viele Antworten.«
Jane Farrar hakte sich bei ihm ein und so schritten sie durch die Diele. Etliche Köpfe wandten sich nach ihnen um.
Bis auf die beiden Lakaien an der Tür war der Vorraum menschenleer. Die Wand über dem Kamin war mit Hirschgeweihen und verblichenen Wappen gepflastert, die einst andere Kaminwände geziert hatten. Das große Buntglasfenster gegenüber zeigte stilisierte Londoner Bauwerke wie die Westminster Abbey, den Westminster Palace und die wichtigsten Regierungsgebäude am Themseufer. Auf den Straßen sah man jubelnde Menschenmassen, im Hof des Westminster Palace thronte gottgleich der Premierminister, die Hände segnend erhoben. Das Glas glänzte matt im Lampenschein, dahinter herrschte finstere Nacht.
Unter dem Fenster stand ein
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