Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
diese Schrecken wirklich selbst erfahren? Wenn Ihr Salomos Vorschlag ablehnt, dürft Ihr Euch darauf gefasst machen.«
Doch Balkis hatte sich wieder gefangen. Sie ging mit raschen Schritten zu ihrem Schränkchen und blieb davor stehen, steif vor Zorn, die Hand am Knauf der Schublade mit der Kristallkugel. »Du hast meine Antwort gehört«, sagte sie schroff. »Flieg zu deinem Herrn zurück. Richte ihm aus, dass ich seinen Vorschlag ein viertes Mal ablehne und keine weiteren Botschaften wünsche. Richte ihm auch aus, dass er, wenn er mich weiter mit seiner Habgier behelligt, es noch bereuen wird, meinen Namen je vernommen zu haben.«
»Letzteres wage ich zu bezweifeln«, entgegnete der junge Mann gelassen. »Ihr selbst verfügt über so gut wie keine Zauberkräfte und auch die Stadt Marib ist nicht eben eine Hochburg der Magie oder der Kriegskunst. Eins möchte ich noch sagen, bevor ich mich auf den langen Rückflug mache. Mein Herr hat durchaus Verständnis dafür, dass Euch die Entscheidung schwerfällt. Er gewährt Euch zwei Wochen, um Eure Meinung zu ändern. Seht!« Er deutete auf den Mond, der hinter den schlanken Lehmziegeltürmen am Himmel stand. »Heute ist Vollmond. Beim nächsten Neumond warten die vierzig Säcke im Hof auf ihre Abholung! Wenn nicht, schwingt sich Salomos Armee in die Lüfte. Zwei Wochen! Fürs Erste danke ich Euch für Eure Gastfreundschaft und vor allem für das wärmende Feuer. Ich möchte mich gern angemessen revanchieren. Vielleicht beflügelt das ja Eure Entscheidung.« Der Marid hob die Hand. Eine orangefarbene Flammenkugel erschien an seinen Fingern und schoss als Lichtblitz davon. Die Spitze des nächstbesten Turmes zerbarst in einer Feuerblume. Es hagelte brennende Ziegel, Entsetzensschreie drangen ins Gemach der Königin.
Auch Balkis schrie auf und stürzte ans Fenster. Der junge Mann lächelte verächtlich und war mit einem Satz auf dem Sims. Ein Flimmern, ein Windstoß… der Adler flog zwischen den Säulen hindurch, umkreiste ein Mal die Rauchsäule und verschwand in der sternklaren Nacht.
Der Morgen dämmerte. Von dem zerstörten Turm stiegen immer noch graue Rauchwölkchen auf, das Feuer aber war erloschen. Es hatte Stunden gedauert, bis sich die Priesterinnen auf den passenden Dämon geeinigt hatten, der zur Bekämpfung des Brandes beschworen werden sollte. Bis dahin hatte man die Flammen bereits mit Wasser aus den Kanälen gelöscht. Königin Balkis hatte alles überwacht und dafür gesorgt, dass die Toten und Verwundeten fortgebracht wurden. Nun saß sie wieder am Fenster ihres Gemachs, blickte auf die stille, verstörte Stadt hinab und sah zu, wie sich das türkisfarbene Tageslicht über die Felder heranstahl.
Balkis saß seit knapp sieben Jahren auf dem Thron von Saba. Wie ihre Mutter, die vorige Königin, wurde sie allen Ansprüchen dieser geheiligten Stellung gerecht und war bei ihrem Volk sehr beliebt. In Angelegenheiten höfischer Politik ging sie forsch und gründlich vor, was ihre Berater freute, in religiösen Belangen war sie gewissenhaft und fromm, was wiederum die Sonnenpriesterinnen freute. Und wenn die Bergbewohner des Hadramaut mit ihren schwer beladenen Kamelen in die Stadt herunterkamen, bis an die Zähne bewaffnet mit Schwertern und silbernen Amuletten zur Abwehr von Geistern, sogenannten Dschinnfängern, und die Weihrauchernte brachten, empfing die Königin sie im Hof des Palastes, bot ihnen Kathblätter zum Kauen an und sprach mit ihnen kenntnisreich über das Wetter und die knifflige Technik der Harzgewinnung, sodass auch diese Männer zufrieden in ihre Dörfer zurückkehrten und Sabas junge, bewunderungswürdige Königin in den höchsten Tönen priesen.
Ihre Schönheit war dabei kein Nachteil. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die eindeutig zur Fettleibigkeit neigte und im reiferen Alter gleich vier junge Sklaven brauchte, die ihr aus den weichen Polstern ihres riesigen Sofas halfen, war Balkis schlank und sportlich und ließ sich überhaupt ungern von jemandem helfen. Unter ihren Beratern und Priesterinnen hatte sie keine engen Vertrauten und traf ihre Entscheidungen am liebsten allein.
Gemäß der Tradition von Saba waren Balkis’ Bedienstete ausnahmslos weiblichen Geschlechts. Sie waren in zwei Gruppen eingeteilt: die Kammerzofen, die sich um die Frisur der Königin, ihren Schmuck und ihre Körperpflege kümmerten, und die kleine Erbkaste von Leibwächterinnen, die ihr Leben dem Schutz der Königin widmeten. Frühere Regenten hatten
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