Bastard
Eingangsbuch. Seit drei Uhr morgens wurden drei Leichen eingeliefert: ein Verkehrsunfall, eine Schießerei und ein ungeklärter Fall von Ersticken mit einer Plastiktüte.
»Ist Dr. Fielding da?«, frage ich Ron.
Er ist ein ehemaliger Militärpolizist der Marineinfanterie und wirkt in seiner dunkelblauen Uniform mit der amerikanischen Flagge und dem Emblem vom AFME an den Schultern und dem Messingabzeichen vom CFC an der Brust stets wie aus dem Ei gepellt und schneidig. Seine Miene ist argwöhnisch
und alles andere als freundlich, als er durch seine Glasscheibe späht und antwortet, er habe Fielding nicht gesehen. Er teilt mir mit, Anne und Ollie seien im Haus, sonst jedoch noch niemand. Nicht einmal Janelle, die diensthabende Ermittlerin, sei hier, erklärt er mit monotoner Stimme. Jedes zweite Wort ist Ma’am , was mich daran erinnert, wie kühl und herablassend dieses Ma’am hier, Ma’am da klingen kann und wie es mich in Dover ermüdet hat. Janelle arbeite wegen des Wetters von zu Hause aus, meldet Ron. Offenbar hat Fielding ihr gesagt, das ginge in Ordnung, was nicht der Fall ist. Es verstößt nämlich gegen die von mir aufgestellten Regeln. Von zu Hause aus kann man nicht ermitteln.
»Wir sind in der Radiologie«, erkläre ich Ron. »Falls jemand kommt, finden Sie uns dort. Aber wenn es sich nicht um Dr. Fielding handelt, möchte ich zuvor wissen, wer es ist, und zuerst meine Zustimmung geben. Ach, vermutlich wäre es sogar besser, wenn Sie mir auch bei Dr. Fielding Bescheid sagen. Ganz gleich, wer es ist, kündigen Sie denjenigen bei mir an.«
»Wenn Dr. Fielding kommt, soll ich Sie anrufen, Ma’am. Damit Sie gewarnt sind«, wiederholt Ron, als wäre er nicht sicher, was genau ich gemeint habe. Vielleicht will er ja auch bockig sein.
»Genau«, bestätige ich. »Niemand, auch nicht Mitarbeiter, sollte einfach hier hereinspazieren, sofern Sie von mir keine anderen Anweisungen erhalten. Ich möchte im Moment undichte Stellen vermeiden.«
»Verstanden, Ma’am.«
»Irgendwelche Anfragen von den Medien? Haben sich Reporter blicken lassen?«
»Ich halte die Augen offen, Ma’am.« An drei Wänden sind in Quadranten aufgeteilte Monitore befestigt. Sie zeigen ständig wechselnde Aufnahmen der Überwachungskameras,
die außen am Gebäude sowie an strategischen Punkten wie den Verladezonen, den Fluren, den Aufzügen, in der Vorhalle und an allen ins Gebäude führenden Türen hängen. »Mir ist bekannt, dass es, was den Mann aus dem Park angeht, offene Fragen gibt.« Ron schaut an mir vorbei und sieht Marino an, als bestünde zwischen den beiden eine Übereinkunft.
»Nun, jetzt wissen Sie, wo Sie uns finden können.« Ich öffne eine Tür. »Danke.«
Ein langer weißer Flur mit einem grau gefliesten Boden bringt uns zu einer Reihe von Räumen, die so angeordnet sind, dass sie uns die Arbeit erleichtern. Erste Station ist die Identifizierung, wo man den Toten fotografiert und ihm die Fingerabdrücke abnimmt. Persönliche Gegenstände, die nicht bereits von der Polizei sichergestellt wurden, werden entfernt und in Spinden eingeschlossen. Danach kommt die Radiologie, in der auch ein CT-Gerät steht. Dahinter befinden sich der Autopsiesaal, ein Reinigungsraum, das Vorzimmer, die Umkleideräume, die Garderoben, das anthropologische Labor und das Bio4-Labor, das kontaminierten oder mit ansteckenden Krankheiten behafteten Leichen vorbehalten ist. Der Flur verläuft kreisförmig und endet an der Verladezone, wo er auch angefangen hat.
»Warum weiß der Sicherheitsdienst über unseren Patienten aus Norton’s Woods Bescheid?«, erkundige ich mich bei Marino. »Und weshalb spricht Ron von offenen Fragen?«
»Von mir hat er es nicht.«
»Mich interessiert, was er weiß.«
»Als wir vorhin gingen, hatte er keinen Dienst. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen.«
»Ich bin neugierig, was man ihm erzählt hat«, wiederhole ich geduldig, weil ich keine Lust habe, in Gegenwart der anderen mit Marino zu streiten. »Wir haben es hier nämlich mit einer ziemlich heiklen Situation zu tun.«
»Bevor ich losgegangen bin, habe ich Anweisung erteilt, dass alle vor Reportern auf der Hut sein sollen«, erwidert Marino und zieht vor der Tür der Radiologie die Lederjacke aus. Ein rotes Lämpchen weist darauf hin, dass gerade das CT läuft. Obwohl Anne und Ollie sicher nicht ohne mich anfangen würden, haben sie die Angewohnheit, andere Menschen vom Betreten eines Raums abzuhalten, in dem eine viel höhere Radioaktivität
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