Bastard
jemand mit einer Wasserkanone erschossen hat?« Wie gebannt betrachtet Marino den sich drehenden Oberkörper auf dem Videoschirm. Die Rippen wölben sich weißlich schimmernd in 3D. »Mal im Ernst. Ich habe schon öfter gehört, dass das das perfekte Verbrechen wäre. Man füllt eine Schrothülse mit Wasser, so dass sie beim Eindringen in
den Körper wie eine Kugel wirkt. Aber sie hinterlässt keine Spuren.«
»So einen Fall hatte ich noch nie«, erwidere ich.
»Aber es könnte funktionieren«, beharrt Marino.
»Theoretisch schon. Allerdings sähe die Eintrittswunde dann anders aus«, antworte ich. »Also los. Ich möchte ihn hinbringen und diskret wieder verschwinden lassen, bevor alle zur Arbeit kommen.« Es ist kurz vor Mitternacht.
Anne klickt das Symbol für Werkzeuge an, um Maß zu nehmen, und teilt mir mit, die Breite des Wundkanals vor dem Durchschlagen des Zwerchfells betrage null Komma siebenundsiebzig bis eins Komma neunundfünfzig Millimeter mit einer Tiefe von vier Komma zwei Millimetern.
»Das sagt mir, dass wir es mit einem Messer beziehungsweise Gegenstand mit zwei Klingen zu tun haben«, erkläre ich. »Sobald die Waffe etwa sieben Zentimeter weit in den Körper eingedrungen war, ist noch etwas anderes geschehen, das zu den schweren inneren Verletzungen geführt hat.«
»Ich frage mich, wie viel von diesen Abweichungen, die wir hier sehen, durch die medizinische Intervention ausgelöst worden sein kann«, wendet Ollie ein. »Schließlich haben sich die Sanitäter zwanzig Minuten lang mit ihm beschäftigt. Vermutlich wird man das zuerst von uns wissen wollen. Wir müssen da ganz offen sein.«
»Auf gar keinen Fall, außer die Wiederbelebungsmaßnahmen wurden von King Kong durchgeführt«, entgegne ich. »Offenbar wurde der Mann mit etwas erstochen, das einen gewaltigen Druck und einen großen Luftembolus in seiner Brust hervorgerufen hat. Sicher hatte er große Schmerzen und war innerhalb weniger Minuten tot, was zu den Beobachtungen der Zeugen passt, er habe sich an die Brust gegriffen und sei zusammengebrochen.«
»Warum dann das viele Blut nach dem Tod?«, erkundigt
sich Marino. »Er hätte doch sofort anfangen müssen zu bluten. Wie zum Teufel ist es möglich, dass er erst geblutet hat, nachdem er für tot erklärt und hierhergebracht worden war?«
»Das kann ich dir auch nicht beantworten. Jedenfalls ist er nicht in unserer Kühlkammer gestorben.« Zumindest in diesem Punkt bin ich sicher. »Er war tot, bevor er hier ankam, ganz bestimmt sogar schon am Tatort.«
»Aber wir müssen beweisen, dass die Blutungen erst nach dem Tod eingesetzt haben. Allerdings bluten Tote nicht wie angestochene Ferkel. Wie also sollen wir das anstellen?«, beharrt Marino.
»Wem müssen wir es denn beweisen?« Ich sehe ihn an.
»Keine Ahnung, mit wem Fielding alles geredet hat, denn schließlich wissen wir ja nicht einmal, wo er steckt. Was, wenn er es jemandem erzählt hat?«
So wie du , denke ich, spreche es aber nicht aus. »Genau deshalb empfiehlt es sich ja, was die Weitergabe von Einzelheiten angeht, vorsichtig zu sein, insbesondere deshalb, weil wir noch nicht sämtliche Informationen besitzen.« Diplomatischer kann ich es nicht ausdrücken.
»Wir haben keine andere Wahl.« Marino lässt nicht locker. »Wir müssen beweisen, warum ein Toter zu bluten begonnen hat.«
Ich greife nach meiner Jacke. »Ein CT vom Kopf und vom ganzen Körper«, wende ich mich an Anne. »Und eine Ganzkörper-Magnettomographie. Zentimeter um Zentimeter. Schicken Sie mir die Ergebnisse per Mail. Ich möchte sie sofort sehen.«
»Ich fahre«, sagt Marino zu ihr.
»Gut, dann bringen Sie den Wagen in die Verladezone, um ihn aufzuwärmen. Nehmen Sie einen Transporter.«
»Wir wollen nicht, dass er aufgewärmt wird. Ich glaube, ich muss die Klimaanlage auf Hochtouren stellen.«
»Dann können Sie allein mit unserem Patienten fahren. Ich treffe Sie dort.«
»Im Ernst. Er könnte wieder zu bluten anfangen.«
»Sie schauen zu oft Comedy bei Saturday Night Live .«
»Wie der Moderator Dan Aykroyd die Fernsehköchin Julia Child nachgemacht hat? Erinnern Sie sich? Sie brauchen ein Messer, ein sehr, sehr scharfes Messer. Und das Blut spritzte in alle Richtungen.«
»Das war so komisch.«
»Ich fand die alten Folgen besser.«
»Stimmt. Und natürlich Roseanne .«
»O Gott, ich bete sie an.«
»Ich habe alle Folgen auf DVD.«
Im Davongehen höre ich sie lachen.
Ich fahre mit dem Daumen über das Lesegerät und öffne die
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