Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bastard

Bastard

Titel: Bastard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
Tür zu dem Bereich, der die erste Station nach der Aufnahme ist. In diesem weißen Raum mit grauen Arbeitsflächen, kurz ID genannt, führen wir die Personenfeststellung durch.
    In die Wand sind Asservatenschränke eingelassen, aus grauem Metall und jeder mit einer Nummer versehen. Mit dem Schlüssel, den Marino mir gegeben hat, öffne ich den obersten auf der linken Seite. Hier wird die persönliche Habe des Toten verwahrt, bis wir sie gegen Quittung an ein Bestattungsinstitut oder die Familie aushändigen. Das heißt, wenn wir endlich wissen, wer er ist und wer Anspruch auf seine Leiche hat. Im Schrank befinden sich ordentlich beschriftete Papiertüten und Umschläge. An jedem Umschlag ist ein Formular befestigt, das Marino ausgefüllt und mit seinen Initialen abgezeichnet hat, damit die Beweiskette keine Lücken bekommt. Ich entdecke den kleinen braunen Umschlag mit dem Siegelring, zeichne das Formular ab und vermerke die Zeit, an der ich das Kuvert aus dem Spind genommen habe.
An einem Computerarbeitsplatz rufe ich ein Register auf und gebe dieselben Informationen ein. Dann erinnere ich mich an die Kleidung des Toten.
    Da ich schon einmal hier bin, sollte ich sie untersuchen, anstatt bis nach der Autopsie zu warten, die erst in mehreren Stunden stattfinden wird. Ich will das Loch sehen, erzeugt von der Klinge, die in den Rücken des Mannes eingedrungen ist und eine solche Verheerung angerichtet hat. Außerdem interessiert mich, wie viel Blut aus der Wunde ausgetreten ist. Also verlasse ich den ID-Bereich und mache mich, den graugefliesten Flur entlang, auf den Rückweg. Ich komme an der Radiologie vorbei und erhasche durch die offene Tür einen Blick auf Marino, Anne und Ollie, die, lachend und Witze reißend, den Toten auf den Abtransport ins McLean Hospital vorbereiten. Rasch gehe ich weiter, ohne dass sie mich bemerken, und öffne die Doppeltüren aus Stahl, die in den Autopsiesaal führen.
    Es handelt sich um einen gewaltigen, mit harzhaltiger Farbe weißgestrichenen und weißgekachelten Raum. An der ebenfalls weißen Decke sind Stahlschienen angebracht, an denen kühles Licht verbreitende Scheinwerfer hängen. Neben an den Wänden befestigten Waschbecken stehen elf Stahltische. Jedes Waschbecken ist mit einem Fußpedal zum Bedienen des Wasserhahns, einem Hochdruckschlauch, einem Müllschlucker, einem Sieb zum Reinigen von Proben und einem Behälter für Instrumente ausgestattet. Ich habe diese Arbeitsplätze nach sorgfältiger Recherche ausgewählt und einbauen lassen. Sie sind gewissermaßen Operationssäle im Miniaturformat, mit Umluftventilation, die die Luft im Fünf-Minuten-Turnus austauscht, mit Wagen voller Operationsbesteck, Halogenleuchten an Schwenkarmen, Schneidebrettern zum Sezieren, Formalinbehältern mit Hähnen, Ständern für Reagenzgläser und Plastikdosen für histologische und toxikologische Proben.

    Mein Arbeitsplatz, der der Institutsleiterin, ist der erste. Kurz schießt mir durch den Kopf, dass ihn jemand benutzt hat, doch im nächsten Moment ist mir der Gedanke peinlich. Natürlich haben während meiner Abwesenheit andere hier gearbeitet. Fielding ganz sicher. Es spielt keine Rolle, und warum sollte es mich kümmern? , sage ich mir, während ich feststelle, dass die Instrumente auf dem Wagen nicht so ordentlich aufgereiht sind, wie es bei mir der Fall wäre. Sie liegen wild durcheinander auf dem großen weißen Schneidebrett aus Polyäthylen, als hätte sie jemand, allerdings nicht sehr gründlich, gereinigt. Ich nehme ein Paar Latexhandschuhe aus einem Karton und ziehe sie an, weil ich nichts mit bloßen Händen berühren will.
    Für gewöhnlich bin ich in dieser Hinsicht leichtsinniger, als gut für mich ist. Vermutlich liegt das daran, dass ich noch zu den Forensikern der alten Schule gehöre, die sich von nichts aus der Ruhe bringen ließen, ihre Schlachten schlugen und einen seltsam anmutenden Stolz darauf kultivierten, vor nichts Angst oder Ekel zu empfinden. Weder vor Maden noch vor Leichenwasser oder verwesendem, aufgedunsenem, sich grün verfärbendem und von den Knochen gleitendem Fleisch, ja nicht einmal vor Aids. Zumindest hatten wir damals nicht die Sorgen, die uns heute im Zeitalter der alles bis ins Kleinste regelnden Bundesgesetze umtreiben. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich ohne Schutzkleidung herumlief, rauchte, Kaffee trank und tote Patienten berührte wie jeder gewöhnliche Arzt. Meine nackte Haut streifte ihre, wenn ich eine Wunde untersuchte, mir einen

Weitere Kostenlose Bücher