Bastard
des Flügels verlaufen, sind in Wirklichkeit schimmernde winzige Drähte.
»Vermutlich eine Kohlenstoffzusammensetzung. Jedes Flügelmodul verfügt über fünfzehn Gelenke, was ziemlich bemerkenswert ist.« Lucy beschreibt den Gegenstand vor meinen Augen. »Der Flügel selbst besteht aus einem elektroaktiven Rahmen aus Polymer, der auf elektrische Signale anspricht, so dass die wie ein Fächer gefältelten Flügel genauso schnell schlagen wie in der Natur, also bei einer alltäglichen Stubenfliege. Bis jetzt starteten Flybots senkrecht wie ein Hubschrauber und flogen wie ein Engel, eine der großen Schwächen dieser Erfindung. Das zweite Problem war, etwas Mikromechanisches zu entwickeln, das zwar unabhängig von einer Stromquelle, aber nicht klobig ist. Mit anderen Worten: Der Antrieb muss auf biologischer Basis erfolgen, damit der Roboter genug Energie hat, um sich in jeder beliebigen Umgebung frei zu bewegen.«
»Ein biologischer Antrieb wie in da Vincis Konstruktionszeichnungen. « Ich frage mich, ob sie sich an die Ausstellung erinnert, die ich in London mit ihr besucht habe, und ob ihr das Poster im Wohnzimmer des Toten aufgefallen ist. Aber natürlich ist es das. Lucy entgeht nichts.
»Das Poster über dem Sofa«, sagt sie.
»Ja, habe ich gesehen.«
»In einem der Videos, als er gerade seinen Hund anleint. Gruselig, findest du nicht?«
»Ich weiß nicht, was daran gruselig sein soll.«
»Nun, ich hatte den Vorteil, mir die Aufnahmen gründlicher anschauen zu können als du.« Wieder Lucys Verhalten, die Abstufungen, die ich so klar erkenne wie die feinen Veränderungen von Gewebe unter dem Mikroskop. »Es stammt aus derselben Ausstellung im Courtauld, in die du mich mitgenommen
hast. Das Datum desselben Sommers«, fügt sie ruhig hinzu. Offenbar will sie auf etwas Bestimmtes hinaus. »Vielleicht waren wir sogar gleichzeitig dort, mal angenommen, dass er sich die Ausstellung angeschaut hat.«
Das also ist es: Lucy nimmt an, dass es zwischen uns und dem Toten eine Verbindung gibt.
»Dass er das Poster an der Wand hat, ist natürlich kein Beweis dafür«, fährt sie fort. »Das ist mir klar. Vor Gericht würden wir damit nicht durchkommen«, fügt sie mit leicht ironischem Unterton hinzu, so dass es sich anhört wie ein Seitenhieb auf die Staatsanwältin Jaime Berger. In mir wächst der Verdacht, dass es zwischen den beiden aus sein könnte.
»Lucy, hast du einen Verdacht, wer der Mann sein könnte?«, riskiere ich die Frage.
»Ich finde die Vorstellung nur wahnwitzig, dass er vielleicht gleichzeitig mit uns in der Galerie war. Allerdings behaupte ich nicht, dass es so gewesen ist.«
Doch in Wirklichkeit denkt sie etwas anderes. Das erkenne ich an ihrem Blick und an ihrer Stimme. Genau das ist es, was sie annimmt. Wie kann sie solche Schlussfolgerungen über einen Toten ziehen, dessen Namen wir nicht einmal kennen?
»Du hast doch nicht wieder mit dem Hacken angefangen?«, komme ich schonungslos auf den Punkt, so als ob ich mich nach ihrem Zigarettenkonsum, ihrem Trinkverhalten oder einer anderen gesundheitsschädlichen Angewohnheit erkundigte.
Mehr als einmal habe ich mir überlegt, ob Lucy vielleicht einen Weg gefunden hat, die heimlich gemachten Videoaufnahmen zu einem Computer oder einem Server irgendwo auf der Welt zurückzuverfolgen. Für sie sind eine Firewall oder andere Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr als Geschwindigkeitsbegrenzungen auf einer Straße, die zum Ziel führt.
»Ich bin keine Hackerin«, erwidert sie nur.
Das ist keine Antwort , denke ich, spreche es aber nicht aus.
»Ich finde es nur einen merkwürdigen Zufall, dass er im Courtauld war«, ergänzt sie. »Außerdem glaube ich, dass er das Poster besitzt, weil er etwas mit dieser Ausstellung zu tun hat. Man kann es inzwischen nämlich nicht mehr kaufen, das habe ich überprüft. Wie also kann jemand eines haben, wenn er oder ein ihm nahestehender Mensch nicht dort war?«
»Falls er nicht viel älter ist, als er aussieht, muss er damals noch ein Kind gewesen sein«, wende ich ein. »Die Ausstellung fand im Sommer 2001 statt.«
Ich erinnere mich daran, dass seine Uhr auf fünf Stunden vor der hiesigen Ortszeit eingestellt war. Und zwar auf die Zeitzone von Großbritannien. Ausstellungsort war London. Allerdings beweist das nichts. Eine Übereinstimmung, kein Indiz , sage ich mir.
»Diese Ausstellung war genau nach dem Geschmack eines frühreifen kleinen Möchtegernerfinders«, merkt Lucy an.
»Dir hat sie ja auch
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