Bastard
Sonntagmorgen bei einem Bombenanschlag in der Provinz Badghis verwundet, starb jedoch erst am nächsten Tag in einem Krankenhaus in Deutschland. Vermutlich handelte es sich um denselben Anschlag, bei dem auch die Amerikaner, die wir gestern Vormittag in Dover obduziert haben, umgekommen sind. Es ist sogar sehr wahrscheinlich. Ich überlege, ob Miller und Gabriel einander möglicherweise kannten und wie jener Damien Patten, der Brite, der bei dem Taxiunfall starb, ins Bild passt. Hatte Patten in Afghanistan Kontakt zu Miller und Gabriel? Welche Rolle spielt Fielding in dieser Angelegenheit? Und was haben Dr. Saltz, MORT und der Tote aus Norton’s Woods, wenn überhaupt, damit zu tun?
Millers Leiche wird an diesem Donnerstag in die Heimat überführt und seiner Familie in Oxford übergeben. Doch sonst kann ich nichts über ihn entdecken. Allerdings bin ich durchaus in der Lage, nötigenfalls mehr über einen getöteten britischen Soldaten herauszufinden. Ich kann Rockman, den Pressesprecher, anrufen. Oder Briggs, was ich ohnehin tun sollte, wie mir siedend heiß einfällt. Schließlich hat er mich darum gebeten, ja, es mir sogar befohlen, ihn über den Fall in Norton’s Woods auf dem Laufenden zu halten. Falls es neue Erkenntnisse gebe, könne ich ihn sogar wecken. Aber das werde ich nicht. Kommt gar nicht in Frage. Nicht jetzt. Ich
weiß nämlich nicht, wem ich trauen kann, und als sich dieser Gedanke verfestigt, wird mir erst richtig klar, wie sehr ich in der Klemme sitze.
Was bedeutet es, wenn man ausgerechnet die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, nicht um Hilfe bitten kann? Das sagt doch einiges aus. Es ist, als öffnete sich der Boden unter meinen Füßen, so dass ich ins Unbekannte falle, in einen kalten, dunklen und leeren Raum, wo ich bereits einmal war. Briggs hat versucht, mich kaltzustellen, meine Autorität zu untergraben und den Fall Norton’s Woods nach Dover zu holen. Fielding hat während meiner Abwesenheit unlautere Dinge getrieben, sich in Angelegenheiten eingemischt, die ihn nichts angehen, und sogar mein Büro benutzt. Jetzt drückt er sich vor einer Begegnung mit mir – zumindest hoffe ich, dass nicht mehr dahintersteckt. Meine Mitarbeiter proben den Aufstand, und verschiedene mir Unbekannte scheinen über die Einzelheiten meiner Rückkehr im Bilde zu sein.
Inzwischen ist es fast zwei Uhr morgens. Ich bin versucht, die Telefonnummer zu wählen, die Fielding auf den Block gekritzelt hat, um die Person am anderen Ende der Leitung zu überrumpeln, indem ich sie wecke. Vielleicht erfahre ich ja so etwas, das mich weiterbringt. Stattdessen bin ich so höflich, eine Suche mit dem Computer zu starten, um herauszufinden, wem die Nummer mit der Vorwahl 508 gehören könnte. Das Ergebnis erschreckt mich so, dass ich einen Moment reglos verharre und versuche, mich zu beruhigen und die Verwirrung zurückzudrängen.
Julia Gabriel. Die Mutter von PFC Gabriel.
Auf dem Bildschirm vor mir erscheinen ihre Privat- und ihre Geschäftsadresse, ihr Familienstand, ihr Gehalt als Apothekerin in Worcester, Massachusetts, und der Name ihres
einzigen Kindes, das am Sonntag mit neunzehn Jahren in Afghanistan starb. Ich habe fast eine Stunde mit Mrs. Gabriel am Telefon verbracht, bevor ich ihren Sohn obduziert habe, und ihr so zartfühlend wie möglich beizubringen versucht, dass es unmöglich sei, sein Sperma zu sammeln. Währenddessen wurde sie immer lauter und unterstellte mir persönliche Entscheidungen, die mir gar nicht zustehen, die ich nicht getroffen habe und die ich auch niemals treffen würde.
Sperma von einem Toten zu gewinnen, damit eine Lebende schwanger werden kann, bedeutet für mich kein moralisches Dilemma. Ich habe wirklich keine private Meinung zu diesem Thema, das eine ausschließlich medizinische und rechtliche Frage ist, keine religiöse oder ethische. Es ist einzig und allein Sache der Hinterbliebenen und eindeutig nicht die des Arztes. Mir ist nur wichtig, dass der Eingriff, der wegen des Krieges immer beliebter wird, korrekt und im Rahmen des Gesetzes vorgenommen wird. Im Fall von PFC Gabriel hätten meine Ansichten zum Thema Recht auf Fortpflanzung nach dem Tod ohnehin keine Rolle gespielt, denn seine Leiche war verbrannt und verwest, sein Becken so schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass Hoden und Samenstränge gar nicht mehr vorhanden waren. Allerdings hatte ich nicht vor, Mrs. Gabriel das detailliert zu schildern. Deshalb war ich so sanft und einfühlsam wie möglich und nahm es
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