Baudolino - Eco, U: Baudolino
ist der Weg noch frei.«
Baudolino hatte in diesem Moment nur einen einzigen Gedanken. Die Hunnen würden nach Pndapetzim eindringen und es zerstören, aber ihr wütender, alles niedertretender Sturm würde damit nicht enden, sie würden bis zu dem See vordringen und in den Wald der Hypatien einfallen. Er musste ihnen zuvorkommen. Aber er konnte seine Freunde nicht im Stich lassen, er musste sie wiederfinden, ihre Sachen holen, ein bisschen Proviant einpacken, sich auf eine lange Flucht vorbereiten. »Gavagai, Gavagai!« rief er, und im Nu stand sein treuer Helfer neben ihm. »Lauf zum See, finde Hypatia, ich weiß nicht, wie, aber finde sie. Sag ihr, sie soll sich bereithalten, ich komme sie retten!«
»Ich nix wisse, wie, aber ich sie finde«, sagte der Skiapode und sauste davon.
Baudolino und der Poet kamen in die Stadt. Die Nachricht von der verheerenden Niederlage war inzwischen eingetroffen, Frauen aller Rassen liefen mit ihren Kleinen auf dem Arm ziellos herum. Die erschrockenen Panothier stürzten sich im Glauben, sie könnten nun fliegen, ins Leere. Aber sie waren nur dazu ausgebildet, sich im Gleitflug sinken zu lassen, nicht schwebend in der Luft zu verharren, und so waren sie im Handumdrehen unten. Diejenigen, die verzweifelt mit den Ohren zu schlagen versuchten, um sich in der Luft zu halten, stürzten nach kurzer Zeit erschöpft ab und zerschellten an den Felsen. Baudolino und der Poet fanden Colandrino, der verzweifelt über den Misserfolg seiner Ausbildung war, und Solomon und Boron und Kyot, die nach den anderen fragten. »Sie sind tot, Friede ihren Seelen«, sagte der Poet grimmig. »Rasch zu unserer Felsenhöhle«, rief Baudolino, »und dann ab nach Westen!«
In ihrer Felsenhöhle rafften sie alles zusammen, was sie in die Finger bekamen. Als sie eilig hinunterstiegen, sahen sie vor dem Turm ein Hin und Her von Eunuchen, die ihrHab und Gut auf Maultiere luden. Praxeas kam mit fahlem Gesicht auf sie zu. »Der Diakon ist tot, und du hast es gewusst«, sagte er zu Baudolino.
»Tot oder lebendig, du wärst ohnehin geflohen.«
»Wir gehen fort. In der Schlucht werden wir die Lawine auslösen, und der Weg zum Reich des Priesters wird für immer versperrt sein. Wollt ihr mitkommen? Ihr müsst euch aber an unsere Vereinbarungen halten.«
Baudolino fragte gar nicht, welche Vereinbarungen er meinte. »Was liegt mir an deinem verdammten Priester Johannes«, schrie er, »ich habe an ganz was anderes zu denken! Los, Freunde, gehen wir.«
Die anderen waren zuerst eine Weile sprachlos. Dann räumten Boron und Kyot ein, dass ihr eigentliches Ziel immer noch war, Zosimos mit dem Gradal wiederzufinden, und Zosimos war sicher noch nicht ins Reich gelangt und würde auch nie mehr dorthin gelangen. Colandrino und der Boidi sagten, mit Baudolino seien sie gekommen, mit Baudolino würden sie auch wieder gehen. Solomon bemerkte, seine zehn Stämme könnten sowohl jenseits wie diesseits jener Berge sein und daher sei für ihn jede Richtung gut. Der Poet sagte nichts, er schien jeden Willen verloren zu haben, und jemand musste sein Pferd am Zügel nehmen, um ihn mit fortzuziehen.
Als sie gerade aufbrechen wollten, sah Baudolino einen der beiden verschleierten Getreuen des Diakons auf sich zukommen. Er trug eine Schatulle. »Hier ist das Laken mit seinen Zügen«, sagte er. »Er wollte, dass du es bekommst. Nutze es gut.«
»Flieht ihr auch?«
Der Verschleierte schüttelte den Kopf. »Ob hier oder drüben, wenn es denn ein Drüben gibt, für uns ist das gleich. Uns erwartet das Los unseres Herrn. Wir werden hierbleiben und die Hunnen anstecken.«
Kaum waren sie aus der Stadt, bot sich ihnen ein unheilverkündender Anblick. Unter den blauen Hügeln flackerten Flammen. Anscheinend hatte ein Teil der Hunnen am Morgen begonnen, um das Schlachtfeld herumzureiten,und war nun, einige Stunden später, schon am See angelangt.
»Schnell«, rief Baudolino verzweifelt, »alle dorthin, im Galopp!« Die anderen verstanden nicht. »Wieso dorthin, wenn dort schon diese Kerle sind?« fragte der Boidi. »Eher hier lang, vielleicht kommen wir bloß noch im Süden durch.«
»Macht, was ihr wollt, ich will dorthin!« schrie Baudolino und preschte los.
»Er ist verrückt geworden, wir müssen ihm folgen, damit er sich nichts antut«, beschwor Colandrino die anderen.
Doch Baudolino hatte sie bereits weit hinter sich gelassen und ritt, auf den Lippen den Namen Hypatias, dem sicheren Tod entgegen.
Nach einer halben Stunde wilden
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