Baudolino
verlassen.
»Kaum zu erwarten, daß das gutgeht und Ihr nicht vorher angehalten werdet«, sagte Pevere.
»Und dann viel Spaß!« kommentierte Grillo. »Bei so vielen Frauen läuft diesen Pilgern doch gleich das Wasser im Mund zusammen!«
Sie brauchten noch einen guten Tag, erklärten die Genueser, die jungen Frauen müßten erst hergerichtet werden. Das mit den Leprakranken ginge nicht noch einmal, inzwischen hätten auch diese Pilger begriffen, daß in der Stadt keine Leprakranken herumliefen. Diesmal müßten sie ihnen Flecken und Schorf ins Gesicht malen, damit sie aussähen, als ob sie die Krätze hätten, häßlich genug, daß einem die Lust auf sie verging. Außerdem mußte man für so viele Leute, die drei Tage unterwegs sein würden, genug zu essen mitnehmen, sonst machten die schlapp.
Sie würden Körbe mit ganzen Pfannenladungen scripilita
herrichten, einem bei ihnen heimischen Fladen aus
Kichererbsenmehl, knusprig und zart, der in Scheiben
geschnitten und in große Blätter gehüllt werde, man brauche nur noch ein bißchen Pfeffer drüberzustreuen, dann sei es ein Leckerbissen, mit dem man Löwen ernähren könne, besser als ein Stück Rinderbraten; dazu dicke Scheiben Fladenbrot mit Öl, Salbei, Käse und Zwiebeln.
Niketas hatte für derlei barbarische Speisen nicht viel übrig, und da sie noch einen Tag warten mußten, beschloß er, ihn damit zu verbringen, die letzten Köstlichkeiten zu genießen, die Theophilos noch zubereiten konnte, und die letzten Kapitel von Baudolinos Geschichte zu hören, denn er wollte ungern
mittendrin aufbrechen, ohne zu wissen, wie sie endete.
»Meine Geschichte ist noch zu lang«, sagte Baudolino. »Ich komme in jedem Fall mit euch. Hier in Konstantinopel habe ich nichts mehr zu tun, und jede Ecke ruft böse Erinnerungen in mir
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wach. Du bist mein Pergament geworden, Kyrios Niketas, auf das ich vieles schreibe, was ich schon vergessen hatte, als bewegte sich meine Hand von allein. Ich glaube, wer
Geschichten erzählt, muß immer jemanden haben, dem er sie erzählt, nur dann kann er sie auch sich selbst erzählen. Erinnerst du dich, wie ich dir erzählte, daß ich Briefe an die Kaiserin schrieb, die ich jedoch nicht abschicken konnte? Daß ich die Geschmacklosigkeit beging, sie meinen Freunden zu zeigen, war nur, weil diese Briefe sonst keinen Sinn gehabt hätten. Als ich dann aber mit der Kaiserin diesen Kuß getauscht hatte, habe ich das nie jemand erzählen können und habe die Erinnerung daran viele Jahre lang in mir herumgetragen, manchmal davon kostend wie von deinem Honigwein und manchmal mit einem bitteren Geschmack im Munde. Erst als ich es dir erzählen konnte, habe ich mich frei gefühlt.«
»Und warum hast du es mir erzählen können?«
»Weil jetzt, wo ich dir hier erzähle, keiner von denen mehr da ist, die mit meiner Geschichte zu tun gehabt haben. Ich bin als einziger übriggeblieben. Ich brauche dich jetzt so nötig wie die Luft zum Atmen. Ich komme mit nach Selymbria.«
Sobald sich Friedrich von seinen Verletzungen in der Schlacht bei Legnano erholt hatte, rief er Baudolino und den
Reichskanzler Christian von Buch zu sich. Wenn man den Brief des Priesters Johannes ernst nehmen wollte, war es gut, sofort anzufangen. Christian las das Pergament, das Baudolino ihm zeigte, und erhob als umsichtiger Kanzler einige Einwände. Vor allem erschien ihm die Schrift nicht angemessen für eine Kanzlei. Dieser Brief sollte am päpstlichen Hof zirkulieren sowie an den Höfen der Könige von Frankreich und England, und er sollte sogar bis zum Basileus von Byzanz gelangen, also mußte er so beschaffen sein, wie wichtige Dokumente in der ganzen christlichen Welt nun einmal beschaffen waren. Des weiteren brauchte man Zeit, um Siegel herzustellen, die wirklich
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wie Siegel aussahen. Wenn man eine seriöse Arbeit machen wollte, durfte man nichts überstürzen.
Wie sollte man die anderen Kanzleien über den Brief in
Kenntnis setzen? Wenn die Reichskanzlei ihn verschickte, würde die Sache unglaubwürdig erscheinen. Man stelle sich vor, der Priester Johannes schreibt einen privaten Brief, um jemandem zu erlauben, ihn in einem allen unbekannten Land zu besuchen, und der Empfänger macht diesen Brief Krethi und Plethi bekannt, so daß ihm ein anderer zuvorkommen kann!
Gerüchte über den Brief sollten zweifellos umgehen, nicht nur, um eine künftige Expedition zu rechtfertigen, sondern vor allem, um die ganze Christenheit sprachlos zu machen - aber die
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