Baudolino
Sache durfte nur tröpfchenweise durchsickern, so als verriete jemand ein allerhöchstes Staatsgeheimnis.
Baudolino schlug vor, seine Freunde einzuschalten. Sie
würden unverdächtige Helfer sein, Absolventen des Studiums in Paris und nicht Männer Friedrichs. Abdul könnte den Brief in die Reiche des Heiligen Landes schmuggeln, Boron nach
England, Kyot nach Frankreich, und Rabbi Solomon könnte ihn den Juden im Byzantinischen Reich zuspielen.
So vergingen die nächsten Monate mit allerlei Geschäftigkeit, und Baudolino sah sich zum Leiter eines Scriptoriums ernannt, in dem alle seine alten Gefährten arbeiteten. Friedrich ließ sich ab und zu über den Stand der Dinge unterrichten. Er hatte angeregt, das im Brief gemachte Angebot des Gradals ein bißchen genauer zu formulieren. Baudolino hatte ihm dargelegt, wieso es besser war, es im vagen zu belassen, aber er hatte bemerkt, daß der Kaiser von diesem Symbol priesterköniglicher Macht fasziniert war.
Doch während sie über dies alles diskutierten, bekam Friedrich neue Sorgen. Er mußte sich nunmehr damit abfinden, eine Verständigung mit Papst Alexander III. zu suchen. Da ohnehin der Rest der Welt die kaiserhörigen Gegenpäpste nicht ernst
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nahm, könnte er sich bereit erklären, Alexander zu huldigen und ihn als den einzigen wahren römischen Pontifex anzuerkennen -
und das wäre viel -, aber im Gegenzug müßte der Papst sich entscheiden, den lombardischen Kommunen jegliche
Unterstützung zu entziehen - und das wäre sehr viel.
Lohnte es sich da, fragten sich an diesem Punkt sowohl
Friedrich wie Christian, während sehr behutsam neue Fäden gesponnen wurden, den Papst mit einem erneuten Aufruf zur Einheit von Sacerdotium und Imperium zu provozieren?
Baudolino ballte heimlich die Fäuste wegen dieser
Verzögerungen, doch er konnte nicht protestieren.
Mehr noch, im April 1177 zog ihn Friedrich von seinen
Projekten ab, indem er ihn mit äußerst delikaten Aufträgen nach Venedig schickte. Es ging darum, mit Umsicht und
Fingerspitzengefühl die Einzelheiten der Begegnung zu
organisieren, die im Juli zwischen Papst und Kaiser stattfinden sollte. Die Versöhnungszeremonie mußte in allen Details bedacht werden, und kein Zwischenfall durfte sie stören.
»Besonders Christian war sehr in Sorge, daß euer Basileus irgendeinen Tumult provozieren könnte, um die Begegnung platzen zu lassen. Du wirst wissen, daß Manuel Komnenos seit geraumer Zeit um ein gutes Verhältnis zum Papst bemüht war, und da würde eine Versöhnung zwischen Alexander und
Friedrich seine Pläne sicherlich stören.«
»Er gab sie für immer auf. Zehn Jahre lang hatte Manuel dem Papst die Wiedervereinigung der beiden Kirchen vorgeschlagen: Er würde die religiöse Vorrangstellung des Papstes anerkennen, und der Papst würde den Basileus von Byzanz als den einzigen wahren römischen Kaiser sowohl des Ost- wie des Westreiches anerkennen. Doch mit einem solchen Abkommen gewann
Alexander nicht viel Macht in Konstantinopel, und in Italien schaffte er sich nicht den Kaiser vom Hals, und vielleicht würde er sogar die anderen Herrscher Europas alarmieren. Daher
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entschied er sich dann für das Bündnis, das ihm mehr Vorteile brachte.«
»Aber dein Basileus hatte Spitzel nach Venedig geschickt. Sie gaben sich für Mönche aus...«
»Wahrscheinlich waren sie welche. In unserem Reich arbeiten die Männer der Kirche für ihren Kaiser und nicht gegen ihn.
Aber soviel ich weiß - und bedenke, daß ich zu jener Zeit noch nicht am Hofe war -, hatten sie nicht den Auftrag, irgendeinen Tumult anzuzetteln. Manuel hatte sich ins Unvermeidliche geschickt. Er wollte wahrscheinlich bloß informiert sein über das, was geschehen würde.«
»Kyrios Niketas, du weißt sicher, wenn du Logothet der
Sekreta warst, daß es für Spione zweier gegnerischer Parteien, die sich auf demselben Intrigenfeld treffen, die natürlichste Sache der Welt ist, herzliche Freundschaftsbeziehungen zu unterhalten und einander ihre Geheimnisse anzuvertrauen. So brauchen sie keine Risiken einzugehen, um sie sich gegenseitig zu entreißen, und erscheinen höchst effizient in den Augen ihrer Auftraggeber. Genauso lief die Sache damals zwischen uns und jenen Mönchen ab: Wir sagten einander sofort, weshalb wir da waren, wir, um sie auszuspionieren, und sie, um uns
auszuspionieren, und verbrachten danach gemeinsam sehr
schöne Tage.«
»Ein erfahrener Regierungsmann sieht so etwas voraus, aber was soll er denn
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