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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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machen? Wenn er die fremden Spione direkt befragen würde, die er ja übrigens nicht kennt, würden sie ihm nichts sagen. Also schickt er seine Spione mit irgendwelchen entbehrlichen Geheimnissen hin, und so erfährt er, was er wissen will, und was gewöhnlich alle außer ihm bereits wissen«, sagte Niketas.
    »Unter diesen Mönchen war ein gewisser Zosimos aus
    Chalkedon. Er hatte ein unglaublich hageres Gesicht mit
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    stechenden, wie Karfunkel glühenden Augen, die er immerfort rollte, einen langen schwarzen Bart und sehr langes Haar. Wenn er sprach, schien es immer, als redete er mit einem
    Gekreuzigten, der zwei Handbreit vor ihm verblutete.«
    »Ich kenne den Typus, unsere Klöster sind voll davon. Sie sterben sehr jung, an Auszehrung...«
    »Der nicht. Ich habe im ganzen Leben noch nie einen solchen Schlemmer gesehen. Eines Abends nahm ich ihn auch mit ins Haus zweier venezianischer Kurtisanen, die, wie du vielleicht weißt, sehr berühmte Spezialistinnen des ältesten Gewerbes der Welt sind. Um drei Uhr nachts bin ich sternhagelvoll gegangen, aber er ist noch geblieben, und einige Zeit später sagte mir eines der Mädchen, sie hätten noch nie einen solchen Teufelskerl im Zaum halten müssen.«
    »Ich kenne den Typus, unsere Klöster sind voll davon. Sie sterben sehr jung, an Auszehrung...«
    Baudolino und Zosimos waren wenn nicht Freunde, so doch Zechgenossen geworden. Angefangen hatte es damit, daß
    Zosimos nach einem ersten ausgiebigen Gelage einen gräßlichen Fluch ausgestoßen und gesagt hatte, in jener Nacht würde er alle Opfer des Kindermordes von Bethlehem für ein Mädchen von loser Moral hingeben. Auf Baudolinos Frage, ob es das sei, was man in byzantinischen Klöstern lerne, hatte Zosimos
    geantwortet: »Wie Sankt Basilius gelehrt hat, gibt es zwei Dämonen, die den Verstand verwirren können: den der Unzucht und den des Fluchens. Aber der zweite wirkt nur kurzzeitig, und der erste, solange er die Gedanken nicht mit Leidenschaft aufwühlt, verhindert nicht die Kontemplation Gottes.« Sie waren sofort darangegangen, sich ohne Leidenschaft dem Dämon der Unzucht zu überlassen, und Baudolino war klargeworden, daß Zosimos für jede Lebenslage eine Sentenz irgendeines
    Theologen oder Eremiten hatte, die ihm erlaubte, sich in Frieden mit sich selbst zu fühlen.
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    Ein andermal waren sie noch beim Zechen, und Zosimos pries ausgiebig die Wunder Konstantinopels. Baudolino schämte sich, weil er nur von den engen Gassen in Paris erzählen konnte, die voller Unrat waren, den die Leute aus den Fenstern kippten, oder von den trägen Wassern des Tanaro, die nicht mit den goldenen der Propontis konkurrieren konnten. Auch konnte er nicht von den mirabilia urbis Mediolani sprechen, weil Friedrich sie alle hatte zerstören lassen. In seiner Not, um den
    Zechgenossen zu beeindrucken und zum Schweigen zu bringen, zeigte er ihm den Brief des Priesters Johannes, als wollte er ihm sagen, daß es wenigstens irgendwo auf der Erde ein Reich gab, vor dem das seine zu einem kargen Heideland verblaßte.
    Zosimos hatte kaum die erste Zeile des Briefes gelesen, da fragte er schon voller Mißtrauen: »Presbyter Johannes? Wer soll das sein?«
    »Das weißt du nicht?«
    »Glücklich, wer zu jener Unwissenheit gelangt ist, über die hinaus man nicht gehen kann.«
    »Du kannst darüber hinausgehen. Lies, lies.«
    Er las, las mit seinen glühenden Augen, die immer glühender wurden, dann legte er das Pergament auf den Tisch und sagte scheinbar desinteressiert: »Ach, der Priester Johannes. Sicher, ich habe in meinem Kloster viele Berichte von Leuten gelesen, die sein Reich besucht hatten.«
    »Aber grad eben noch hast du doch nicht mal gewußt, wer er war!«
    »Die Kraniche formen bei ihrem Flug Buchstaben, ohne daß sie die Schrift kennen. Dieser Brief spricht von einem Priester Johannes, und da lügt er, aber er spricht auch von einem wahren Reich, das in den Berichten, die ich gelesen habe, als das des Herrn der drei Indien bezeichnet wird.«
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    Baudolino war bereit zu wetten, daß dieser Spitzbube nur einen Schuß ins Blaue abgegeben hatte, aber Zosimos ließ ihm keine Zeit für Zweifel.
    »Dreierlei verlangt der Herr von Menschen, die getauft
    worden sind: von der Seele den rechten Glauben, von der Zunge die Aufrichtigkeit und vom Leib die Beherrschtheit. Diesen Brief kann nicht der Herr der drei Indien geschrieben haben, denn er enthält zu viele Ungenauigkeiten. Zum Beispiel nennt er viele außergewöhnliche

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