Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Wesen, die dort leben, aber er
    schweigt... warte, laß mich überlegen... ja, er schweigt zum Beispiel über die Methagallinarii, die Thinsiretae und die Cametheterni.«
    »Und was sind die?«
    »Was die sind? Na, also das erste, was einem passiert, wenn man in die Gegend des Priesters Johannes kommt, ist, daß man einem Thinsireta begegnet, und wenn man nicht darauf
    vorbereitet ist, sich zu wehren, schwupp, hat einen das Biest schon mit Haut und Haaren verschlungen! Tja, das sind Orte, da kannst du nicht einfach so hingehen wie nach Jerusalem, wo du höchstens mal ein Kamel, ein Krokodil oder ein paar Elefanten triffst, und das war's dann... Außerdem kommt es mir an diesem Brief auch sehr seltsam vor, daß er sich an deinen Kaiser richtet und nicht an unseren Basileus, wo doch das Reich dieses Johannes näher am Reich der Romäer liegt als an dem der Lateiner.«
    »Du redest, als ob du wüßtest, wo es liegt.«
    »Genau weiß ich's nicht, aber ich wüßte schon, wie ich dort hinkäme, denn wer das Ziel kennt, kennt auch den Weg.«
    »Und warum ist dann keiner von euch Romäern jemals dorthin gegangen?«
    »Wer sagt dir, daß es nie einer versucht hat? Ich könnte dir
    -270-
    sagen: Wenn unser Basileus Manuel sich in das Land des
    Sultans von Ikonion gewagt hat, dann eben gerade, um sich den Weg ins Reich des Herrn der drei Indien zu öffnen.«
    »Das könntest du sagen, aber du sagst es nicht.«
    »Weil unser ruhmreiches Heer genau dort vernichtet worden ist, in Myriokephalon, vor zwei Jahren. Also ehe unser Basileus eine neue Expedition versucht, braucht er Zeit. Aber wenn ich viel Geld hätte und eine Gruppe von gutbewaffneten Männern, die es mit tausend Schwierigkeiten aufnehmen, dann wüßte ich schon ungefähr, in welche Richtung ich gehen müßte, und brauchte bloß aufzubrechen. Unterwegs fragst du dich eben durch, folgst den Wegangaben der Einheimischen... Es muß viele Zeichen geben, wenn du auf dem richtigen Weg bist, müßtest du immer mehr Bäume sehen, die nur in jenen
    Gegenden blühen, oder Tieren begegnen, die nur dort leben, wie eben genau die Methagallinarii.«
    »Hoch die Methagallinarii!« rief Baudolino und hob seinen Becher. Zosimos schlug vor, ein Hoch auf das Reich des
    Priesters Johannes auszubringen. Dann forderte er ihn heraus, auf das Wohl Kaiser Manuels anzustoßen, und Baudolino
    antwortete, da mache er mit, wenn sie dann auch beide auf das Wohl Kaiser Friedrichs anstießen. Dann tranken sie auf den Papst, auf Venedig, auf die beiden Kurtisanen, die sie wenige Tage vorher kennengelernt hatten, und schließlich war
    Baudolino als erster mit dem Kopf auf den Tisch gesunken und eingeschlafen, wobei er Zosimos gerade noch mühsam lallen hörte: »Dies ist das Leben des Mönches: keine Neugierde zeigen, nicht mit dem Ungerechten gehen, nicht mit den Händen raffen...«
    Am nächsten Morgen sagte Baudolino mit noch belegter
    Zunge: »Zosimos, du bist ein Spitzbube. Du hast nicht die geringste Ahnung, wo dein Herr der drei Indien lebt. Du willst einfach der Nase nach gehen, und wenn einer dir sagt, er habe
    -271-
    dort hinten einen Methagallinarius gesehen, dann rennst du los, und in Nullkommanichts kommst du zu einem Palast, der ganz aus Edelsteinen ist, und siehst irgendeinen Knilch und sagst, Hallo Priester Johannes, wie geht's? Sowas kannst du deinem Basileus erzählen, nicht mir.«
    »Aber ich habe eine gute Karte«, sagte Zosimos, während er langsam die Augen aufschlug.
    Worauf Baudolino erwiderte, auch mit einer guten Karte
    bleibe noch alles im vagen und schwer zu entscheiden, weil man ja wisse, wie ungenau Karten seien, besonders für jene Orte, an denen allenfalls mal Alexander der Große gewesen war und seitdem niemand mehr. Und er zeichnete ihm, so gut er konnte, die von Abdul gefertigte Karte.
    Zosimos fing an zu lachen. Klar, wenn Baudolino der
    ketzerischen und perversen Idee anhing, daß die Erde eine Kugel sei, brauche er seine Reise gar nicht erst anzutreten.
    »Entweder du vertraust der Heiligen Schrift, oder du bist ein Heide, der noch so denkt, wie man vor Alexander dachte - der übrigens unfähig war, uns irgendeine Karte zu hinterlassen.
    Nach der Heiligen Schrift hat nicht nur die Erde, sondern das ganze Universum die Form eines Tabernakels, beziehungsweise Moses hat seinen Tabernakeltempel als getreues Abbild des Universums gestaltet, von der Erde bis zum Firmament.«
    »Aber die antiken Philosophen...«
    »Die antiken Philosophen, die noch nicht vom Wort Gottes

Weitere Kostenlose Bücher